Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung neuer Tatsachen im Rahmen der Vollstreckung der Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers
Leitsatz (amtlich)
1. Im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens nach § 888 ZPO ist nicht zu überprüfen, ob der Arbeitgeber eine weitere (wirksame) Kündigung ausgesprochen hat. Solche materiell-rechtlichen Fragen sind im Berufungsverfahren bzw. im Rahmen einer Vollstreckungsgegenklage vorzutragen.
2. Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitgeber behauptet, er habe nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils eine neue unternehmerische Entscheidung getroffen, die zum Wegfall der titulierten Beschäftigungspflicht führe.
Normenkette
ZPO § 888; BGB § 275; ArbGG § 62 Abs. 2, § 78
Verfahrensgang
ArbG Darmstadt (Entscheidung vom 16.05.2022; Aktenzeichen 10 Ca 156/21) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 16. Mai 2022 - 10 Ca 156/21 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Zwangsvollstreckung eines Weiterbeschäftigungstitels.
Vor dem Arbeitsgericht Darmstadt war zwischen den Parteien ein Kündigungsschutzverfahren anhängig. Die Schuldnerin hatte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28. Juli 2021 aus betriebsbedingten Gründen gekündigt. Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 24. Februar 2021 - 10 Ca 156/21 - der Kündigungsschutzklage des Gläubigers stattgegeben und die Schuldnerin zur Weiterbeschäftigung des Gläubigers als Tactical Design Director in der Niederlassung in Raunheim verurteilt. Gegen diese Entscheidung hat diese Berufung eingelegt, das Berufungsverfahren wird vor dem Landesarbeitsgericht unter dem Az. 5 Sa 615/22 geführt.
Die Schuldnerin hat mit Schreiben vom 15. März 2022 eine Änderungskündigung ausgesprochen, mit der dem Gläubiger eine Tätigkeit als Design Studioingenieur angeboten worden ist. Der Gläubiger hat das Änderungsangebot abgelehnt. Diesbezüglich ist ein weiteres Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht Darmstadt - 10 Ca 66/22 - anhängig.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 16. Mai 2022, der der Schuldnerin am 23. Mai 2022 zugestellt worden ist, zur Durchsetzung der im Urteil enthaltenen Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung des Gläubigers ein Zwangsgeld i.H.v. 20.000 Euro festgesetzt. Gegen diese Entscheidung hat die Schuldnerin mit Schriftsatz vom 3. Juni 2022 sofortige Beschwerde eingelegt.
Die Schuldnerin meint, dass das Arbeitsgericht zu Unrecht ein Zwangsgeld verhängt habe. Sie trägt vor, es sei ihr unmöglich, den Gläubiger weiter zu beschäftigen. Der Wegfall seiner Tätigkeiten resultiere aus der am 27. Juli 2021 getroffenen unternehmerischen Entscheidung. Es sei offenkundig, dass es ihr unmöglich sei, den Gläubiger weiter zu beschäftigen. Der Umstand, dass die Arbeit seit Juli 2021 erledigt worden sei, obwohl seit diesem Zeitpunkt der Gläubiger freigestellt worden sei, belege, dass dessen Tätigkeit nicht mehr benötigt werde. Die Schuldnerin meint ferner, es stünde zu erwarten, dass der Gläubiger bei seiner Weiterbeschäftigung im Wege der Zwangsvollstreckung streng vertrauliche Daten entwendet. Durch das nachvertragliche Wettbewerbsverbot sei sie nicht hinreichend vor Abwanderung vertraulicher Daten geschützt. Bei einer Weiterbeschäftigung habe er Zugang zu einer Vielzahl von vertraulichen und wettbewerbsrelevanten Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen. Dies gelte insbesondere bei der exponierten Stellung des Gläubigers. Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass sie nach Ausspruch der ersten Kündigung eine zweite Änderungskündigung ausgesprochen habe.
Der Gläubiger verteidigt den Beschluss des Arbeitsgerichts und meint, im Rahmen der Beschwerdebegründung seien keine neuen erheblichen Argumente vorgebracht worden. Für die Dauer der Weiterbeschäftigung sei die Schuldnerin nach §§ 60 ff. HGB geschützt, danach durch das vertragliche Wettbewerbsverbot. Die Schuldnerin habe keine Tatsachen vorgetragen, die überwiegende Interessen im Rahmen der Weiterbeschäftigung begründen könnten.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 25. Juli 2022 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und diese zur Entscheidung dem Beschwerdegericht vorgelegt.
II. Die sofortige Beschwerde ist zwar zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
Die statthafte sofortige Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt worden und insgesamt zulässig (§§ 62 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 78 ArbGG i.V.m. §§ 793 ZPO, 569 Abs. 1 ZPO).
In der Sache selbst hat die Beschwerde keinen Erfolg; denn der Zwangsgeldbeschluss des Arbeitsgerichts ist nicht zu beanstanden.
1. Die allgemeinen Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung (Titel, Klausel, Zustellung) liegen vor, §§ 724, 750 Abs. 1 ZPO. Bei der Verurteilung zur Weiterbeschäftigung handelt es sich nach einhelliger Auffassung um die Verurteilung zur Vornahme einer unvertretbaren Handlung gemäß § 888 ZPO. Der arbeitsgerichtliche Titel ist auch hinreichend bestimmt und zur Vollstreckung auch geeignet.
2. Dem Antrag nach § 888...