Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf nachträgliche Zulassung einer Kundigungsschutzklage. Anspruch auf faires Verfahren. irrtümliche. Einreichung der Klage beim unzuständigen Gericht
Leitsatz (amtlich)
Zur Berücksichtigung des Anspruchs auf ein faires Verfahren im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf nachträgliche Zulassung einer Kundigungsschutzklage gemäß § 5 KSchG (Fortführung von BVerfG Beschl. vom 20. Juni 1995 – 1 BvR 166/93 – NJW 1995, 3173 ff.), wenn die Klage versehentlich an ein unzuständiges Gericht adressiert ist und von diesem verzögert an das (zuständige) Arbeitsgericht weitergeleitet wird.
Normenkette
KSchG 1969 § 5; GG Art. 2 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Beklagten vom 10. Juni/19. August 1996 gegen denBeschluß des Arbeitsgericts Hanau vom 30. Mai 1996 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Tatbestand
I.
Der Kläger war seit 1974 bei der Gemeinschuldnerin tätig; am 06. September 1995 standen bei ihr jedenfalls 25 Arbeitnehmer in Arbeitsverhältnissen. Dem Kläger wurde vom Beklagten – er war unter dem 07. September zum Konkursverwalter ernannt worden – mit Schreiben vom 11. September 1995 ordentlich gekündigt. Das Kündigungsschreiben wurde dem Kläger am 11. September 1995 ausgehändigt.
Der Kläger suchte deswegen am 20. September 1995 seinen Prozeßbevollmächtigten auf und beauftragte diesen mit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage. Die Klageschrift (darin auf Seite 1 unten angegeben „wegen: Kündigung” und auf Seite 2 formuliert der § 4 KSchG entsprechende Klageantrag) wurde unter dem 21. September abgefaßt. Sie war adressiert an das „Amtsgericht, Sandeldamm, 63450 Hanau”, wobei unter der angeführten Anschrift allein das Arbeitsgericht Hanau seinen Sitz hat. Die falsche Adressierung fiel weder bei der Unterschrift dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers noch später dem Kläger auf, dem am 23. September 1995 ein Abdruck der Klageschrift per Post zugesandt worden war.
Der Adressierung entsprechend hat das Amtsgericht Hanau die unterschriebene Klageschrift erhalten, und zwar ausweislich des Eingangsstempels am 25. September 1995, einem Montag. Der Eingangsstempel des Amtsgerichts ist handschriftlich teilweise mit dem Vermerk „Irrläufer” überschrieben, ohne daß angegeben ist, wann wer mit welcher Funktion den Vermerk angebracht hat. Handschriftlich ist weiter das Wort „Amtsgericht” durchgestrichen und das Wort „Arbeitsgericht” darüber geschrieben worden, und in dieser Form ist die Klageschrift an das Arbeitsgericht Hanau weitergeleitet worden. Ausweislich des entsprechenden Eingangsstempels des Arbeitsgerichts Hanau ist die Klageschrift dann dort am 04. Oktober 1995, einem Mittwoch, eingegangen.
Seitens des Arbeitsgerichts ist ein Hinweis auf den Irrweg der Klageschrift und deren verspäteten Eingang beim Arbeitsgericht erst im Gütetermin vom 05. Dezember 1996 erfolgt (vgl. Protokoll Blatt 10 d.A.). Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers informierte diesen, der am Gütetermin nicht teilgenommen hatte, hiervon am 06. Dezember. Am 08. Dezember 1996 ist darauf der Schriftsatz des Klägervertreters vom Vortage mit dem Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage (unter Bezugnahme auf die Klageschrift) beim Arbeitsgericht eingegangen. Auf den Inhalt dieses Schriftsatzes sowie die beigefügten eidesstattlichen Versicherungen des Klägers und seines Prozeßbevollmächtigten vom 06. bzw. 07. Dezember 1996 (Blatt 11 bis 16 d.A.) wird Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Beschluß vom 30. Mai 1996 nachträglich zugelassen. Für die Begründung des Beschlusses im einzelnen wird Bezug genommen auf Blatt 21 bis 28 d.A. Der Beschluß ist dem Beklagten am 15. August 1996 zugestellt worden. Mit Schriftsätzen vom 10. Juni 1996 und vom 19 August 1996 – eingegangen am 11. Juni bzw. 20. August 1996 beim Landesarbeitsgericht – hat der Beklagte dagegen sofortige Beschwerde eingelegt. Der Beklagte hält daran fest, daß keine nachträgliche Zulassung gewährt werden dürfe: Es liege ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten des Klägers vor, diese müsse sich der Kläger zurechnen lassen. Der Kläger hingegen verteidigt den Beschluß des Arbeitsgerichts.
Entscheidungsgründe
II.
Die statthafte und auch im übrigen zulässige (trotz zweifacher Einlegung als einheitliches Rechtsmittel zu sehende) sofortige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Entscheidung hierüber kann ohne mündliche Verhandlung und damit durch den Vorsitzenden allein ergehen (§§ 64 Absatz 7, 53 Absatz 1 Satz 1 ArbGG).
Der Antrag auf nachträgliche Zulassung der nach Ablauf der Frist des § 4 Satz 1 KSchG – das KSchG ist aufgrund der Angaben unter I. anwendbar – beim Arbeitsgericht eingegangen Kündigungsschutzklage gemäß § 5 KSchG hat Erfolg. Die Fristen des § 5 Absatz 3 Satz 1 und 2 KSchG sind eingehalten, es ist auch § 5 Absatz 2 Satz 1, 2. Halbsatz sowie Absatz 3 KSchG Rechnung getragen. Unschädlich ist es, daß die Tatsachen, auf die nachfolgend trage...