Entscheidungsstichwort (Thema)
Regelmäßige Unbeachtlichkeit der Entfernung zwischen Hauptbetrieb und nicht betriebsratsfähigem Betrieb. Sinnvolle Ausübung der Mitbestimmungsrechte bei größerer Entfernung zwischen den Betrieben. Anfechtung einer Betriebsratswahl. Entbehrlichkeit persönlicher Kontaktaufnahme aufgrund ausreichender Kommunikationsmittel
Leitsatz (amtlich)
1. Auf die räumliche Entfernung des Hauptbetriebs von dem nicht betriebsratsfähigen Betrieb kommt es nach § 4 Absatz 2 BetrVG grundsätzlich nicht an. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn die räumliche Entfernung so erheblich ist, dass von dem im Hauptbetrieb errichteten Betriebsrat die Mitbestimmungsrechte für den nicht betriebsratsfähigen Betrieb nicht mehr sinnvoll ausgeübt werden können (BAG 10.1.2007 -7 ABR 63/05- Rn. 23).
2. Hierbei ist mitzuberücksichtigen, ob in dem Hauptbetrieb und den die Voraussetzungen des § 1 Absatz 1 Satz 1 BetrVG nicht erfüllenden Betrieben technische Voraussetzungen für eine Kommunikation untereinander bestehen, die eine persönliche Kontaktaufnahme entbehrlich machen. In diesem Fall kann die räumliche Distanz durch technische Kommunikationsmittel (Telefon- oder Videokommunikation, Email) überbrückt werden.
Normenkette
BetrVG §§ 19, 4 Abs. 2, § 7 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 17.11.2020; Aktenzeichen 3 BV 339/18) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 17. November 2020 – 3 BV 339/18 – abgeändert:
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Anfechtung einer Betriebsratswahl.
Der Antragsteller (Arbeitgeber) betreibt eine Fluggesellschaft und ist Teil der A Gruppe, einem international tätigen Transport- und Logistikunternehmen. Beteiligter zu 2 ist der bei der Arbeitgeberin gebildete Betriebsrat, der aus einer am 16. Mai 2018 stattgefundenen Betriebsratswahl hervorgegangen ist.
Der Betriebsratswahl lag eine Wählerliste (Anl. AS3, Bl. 38-40 der Akte) zu Grunde, die 107 wahlberechtigte Arbeitnehmer ausweist. Darunter befinden sich B und C, die zum Zeitpunkt der Betriebsratswahl bereits ausgeschieden waren, 2 am Standort des Arbeitgebers in D und 3 am Standort des Arbeitgebers in E beschäftigte Arbeitnehmer, die organisatorisch verselbstständigt sind und deren Urlaubs- und Schichtpläne von dem dort tätigen Seniormanager F allein festgelegt werden sowie 8 Arbeitnehmer, die von der Schwestergesellschaft des Arbeitgebers, der so genannten Inc (jetzt: A Germany GmbH) arbeitsvertraglich bei dem Arbeitgeber eingesetzt werden. Die entsprechende Klausel im Arbeitsvertrag lautet: „Der Mitarbeiter verpflichtet sich, bei Bedarf auf Anforderung der Gesellschaft in der Schwestergesellschaft A Corporation zu den gleichen arbeitsvertraglichen Bedingungen tätig zu werden.“ Wegen des Inhalts der Arbeitsverträge wird auf Bl. 186 bis 251 der Akte Bezug genommen. In Bezug auf die Mitarbeiter der Personalabteilung G, H und I erfolgte dies dergestalt, dass diese während der Dauer des Bestands des Arbeitsverhältnisses zu ihrem Vertragsarbeitgeber zeitweise für das Unternehmen des Antragstellers auch im Außenverhältnis gegenüber Mitarbeitern unter Verwendung des Briefbogens des Antragstellers tätig wurden (Bl. 339, 400, 467-478 der Akte).
Das Wahlergebnis der am 16. Mai 2018 stattgefundenen Betriebsratswahl wurde am 17. Mai 2018 bekannt gegeben (Blatt 342-344 der Akte). Mit einem am 30. Mai 2018 beim Arbeitsgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz hat der Arbeitgeber die Betriebsratswahl angefochten.
Er hat einen Verstoß gegen § 9 BetrVG geltend gemacht, da – fehlerhaft - ein aus 7 Mitgliedern bestehender Betriebsrat gewählt wurde. Richtigerweise habe der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Betriebsratswahl regelmäßig lediglich 94 Arbeitnehmer beschäftigt, so dass ein aus 5 Mitgliedern bestehender Betriebsrat hätte gewählt werden müssen. Es seien betriebsfremde Arbeitnehmer berücksichtigt worden (J, K, I, L, M, N, G und H. Ferner hätten die Standorte D und E bzw. die dort beschäftigten insgesamt 5 Arbeitnehmer nicht einbezogen werden dürfen. Die Stelle der mit Wirkung zum September 2017 ausgeschiedenen B sei nicht neu besetzt worden.
Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten und der gestellten Anträge wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss unter I. (Bl. 431-432 der Akte) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag des Arbeitgebers stattgegeben und die Betriebsratswahl vom 16. Mai 2018 für unwirksam erklärt. Wegen der Begründung wird auf die Ausführungen im Beschluss unter II. (Bl. 433-439 der Akte) verwiesen.
Dieser Beschluss wurde dem Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats am 17. Dezember 2020 zugestellt, der dagegen am 15. Januar 2021 Beschwerde eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis 17. April 2021 diese am 19. April 2021 (Montag) begründet hat.
Der Betriebsrat rügt, das Arbeitsge...