Entscheidungsstichwort (Thema)

Verantwortlichkeit für Meinungsäußerungen von Arbeitnehmern. Unterlassung von Kritik am Betriebsrat. Veröffentlichung von Kritik am Schwarzen Brett. Meinungsäußerungsfreiheit contra Behinderung der Betriebsratsarbeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Regelung des § 78 BetrVG begrenzt das durch Art. 5 Abs. 1 GG garantierte Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Dieses findet zwar seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, zu denen § 78 BetrVG gehört. Bei der Anwendung der Vorschrift muss der besondere Wesensgehalt des Art. 5 Abs. 1 GG gewahrt bleiben.

2. Der am schwarzen Brett ausgehängte offene Brief enthält durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Werturteile.

3. Bei der Abwägung der einfachgesetzlichen Vorschrift des § 78 BetrVG mit der Bedeutung der Meinungsfreiheit ist Letzterer hier der Vorrang einzuräumen. Die Meinungsäußerung zielte nicht darauf ab, die Betriebsratsarbeit zu erschweren, sondern einen kritischen Dialog zwischen Belegschaft und Betriebsrat herbeizuführen.

 

Normenkette

BetrVG § 78; GG Art. 5 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Darmstadt (Entscheidung vom 13.02.2013; Aktenzeichen 5 BV 34/12)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 13. Februar 2013 - 5 BV 34/12- teilweise abgeändert:

Die Anträge werden insgesamt zurückgewiesen.

Die Anschlussbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 13. Februar 2013 - 5 BV 34/12- wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Der Betriebsrat nimmt einen im Betrieb beschäftigten leitenden Angestellten (Beteiligter zu 2) auf Unterlassung sowie Widerruf von Äußerungen in Anspruch.

Arbeitgeber (Beteiligter zu 3) ist die europäische Entwicklungsgesellschaft eines koreanischen Automobilkonzerns. Im Betrieb werden regelmäßig mehr als 200 Arbeitnehmer beschäftigt. Dort ist der Antrag stellende Betriebsrat gebildet.

Vom 5. Juli 2012 bis 17. August 2012 hing im Betrieb am schwarzen Brett folgendes Schriftstück (Bl. 23ff der Akten):

"Offener Brief an die Mitarbeiter/innen von H zum Thema Betriebsrat

R, dem 4. Juli 2012

Wir, die Unterzeichnenden, beobachten seit einiger Zeit, zunächst interessiert, mittlerweile mit zunehmender Sorge die Aktivitäten unseres Betriebsrats bzw. der dort tätigen Personen hinsichtlich der Auswirkungen auf unseren Arbeitsalltag und damit unsere berufliche Zukunft.

Um es klar und vorab zu sagen:

Die Betriebsratsarbeit bei H halten wir für schlecht und nicht zielführend, was natürlich nur unser subjektives Empfinden widerspiegelt.

Betriebsräte wie etwa bei V, B, O etc. verfolgen - wie aus den Nachrichten zu entnehmen ist, stets eine Politik der vertrauensvollen, transparenten und effektiven Zusammenarbeit mit dem Ziel der Lösungsfindung mit dem Unternehmen. Dies immer zum Wohle aller Arbeitnehmer und des Unternehmens unter Einbeziehung aller gegebenen Möglichkeiten - auch wenn Entscheidungen hieraus unter Umständen aus praktischen Gründen manchmal nur einem vorübergehenden Kompromiss darstellen.

Bei dem Betriebsrat von H können wir dieses so nicht erkennen. Es fehlt an Vertrauen, Transparenz, Effizienz und vor allem dem Willen des Betriebsrates praktische Lösungen herbeiführen zu wollen.

- Vertrauen: Betriebsratsmitglieder suggerieren oft grundlegendes Misstrauen gegen die Firma an sich -das ist unserer Ansicht nach falsch, weil dadurch eine einvernehmliche Lösungsfindung unmöglich wird.

- Mangelnde Transparenz: Die Ziele des Betriebsrates, die Themen an denen gearbeitet wird oder auch die Konflikte mit der Firma und deren Lösungsstrategien sind für uns als Mitarbeiter nicht klar erkennbar.

- Effizienz: Konkrete Ergebnisse der Betriebsratsarbeit oder auch nur resultierende Pläne sind für uns trotz der zahlreichen und meist sehr kurzfristig angesetzten Zusammenkünfte des Betriebsrates nicht erkennbar. Auch die Art und Weise, wie hier ohne Rücksicht auf betriebliche Belange und mit fragwürdigem Sozialverhalten gegenüber betroffenen Kollegen agiert wird, ist aus kollegialen Gründen so nicht akzeptabel. Speziell wird die Arbeit rigoros mit dem Verweis auf eine "wichtige Betriebsratssitzung" niedergelegt. Trotz der Vielzahl der gerichtlichen Klagen die der H-Betriebsrat geführt hat und führt, ergaben sich bis dato keine für die Belegschaft erkennbaren Vorteile.

- Lösungsfindung: In den Aktivitäten des H-Betriebsrats lässt sich für uns nicht erkennen, dass eine zielführende, zeitnahe Lösungsfindung angestrebt wird. Es scheint oftmals um persönliche Prinzipien und Geltungsbedürfnis einzelner zu gehen, wobei auch materielle Nachteile für eine große Zahl der Mitarbeiter billigend in Kauf genommen und greifbare Lösungen Monate oder sogar Jahre hinausgezögert werden.

- Ungerechtfertigter Missbrauch des Betriebsratsamtes: Wir sind der Ansicht, dass die gegenwärtig agierenden Personen des Betriebsrates ihr Amt dazu Missbrauch an, um sich nicht zuletzt auch persönliche, materielle Vorteile zu sichern.

Das deutsche Arbeitsrecht sie...

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