Entscheidungsstichwort (Thema)

"Berufspraxis" i.S.d. § 7 BETV Chemie. Darlegungslast des Arbeitgebers im Zustimmungsersetzungsverfahren

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Als „Berufspraxis“ sind alle Zeiten zu berücksichtigen, während derer im Betrieb oder betrieblich veranlasst Kenntnisse und Fertigkeiten erworben werden, die zur Ausübung der übertragenen Tätigkeit erforderlich sind. Die Auslegung des BETV ergibt, dass dies unabhängig davon gilt, auf welchem Weg dieser Erwerb erfolgt.

2. Im Zustimmungsersetzungsverfahren trägt der Arbeitgeber die Feststellungslast für das Nichtbestehen der vom Betriebsrat zur Begründung seines Widerspruchs vorgetragenen Gründe. Das Fehlen der Widerspruchsgründe des Betriebsrats muss für eine Stattgabe des Zustimmungsersetzungsantrags vom Gericht positiv festgestellt werden können.

 

Normenkette

BetrVG § 99; BETV Chemie v. 18.07.1987 (Fassung: 2018-09-20) § 3 Nr. 2, § 7 EG 2, § 7 EG 3

 

Verfahrensgang

ArbG Darmstadt (Entscheidung vom 21.02.2019; Aktenzeichen 7 BV 27/18)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 21. Februar 2019 – 7 BV 27/18 – abgeändert. Die Anträge der Beteiligten zu 1) werden zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten führen das Zustimmungsersetzungsverfahren wegen der tarifgerechten Umgruppierung zweier Arbeitnehmerinnen.

Die zu 1) beteiligte Arbeitgeberin ist Teil der A. Sie unterhält in B das C (im Folgenden: C) als Gemeinschaftsbetrieb mit der D, in dem circa 380 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt sind. Die Beteiligte zu 1) ist Mitglied im Arbeitgeberverband Chemie und wendet auf die Arbeitsverhältnisse die Tarifverträge der Chemischen Industrie, so auch den Bundesentgelttarifvertrag vom 18. Juli 1987 zuletzt idF. vom 20. September 2018 (im Folgenden: BETV), an.

Der Beteiligte zu 2) ist die im C gewählte Arbeitnehmervertretung.

Im C sind die Arbeitnehmerinnen E und F beschäftigt.

Im C fallen ua. die Tätigkeiten Kommissionierung Pick by light, Clearing und Packerei an. Bei der Kommissionierung Pick by light bekommen die Arbeitnehmerinnen über Lichtanzeige angezeigt, welche Menge von dem zu kommissionierenden Artikel in den nächsten Kommissionierbehälter gelegt werden soll. Für die Entnahme der angezeigten Artikel aus dem Kommissionierfach müssen dabei die Produktkartons den bestehenden Sicherheitsvorgaben entsprechend geöffnet werden. lm Bereich Clearing werden zuvor kommissionierte Versandkartons, deren tatsächliches Gewicht von dem theoretisch ermittelten Gewicht abweicht, von der Fördertechnik automatisch ausgeschleust. Diese Versandkartons werden durch Scannen der auf den Produkten befindlichen Barcodes auf Vollständigkeit oder Überfüllung geprüft. Über einen Bildschirm wird angezeigt, ob deren Inhalt zutreffend zusammengestellt wurde. Befindet sich zu viel Ware in dem Karton, wird diese entnommen und zurück in das Kommissionierregal sortiert. Bei einer zu geringen Befüllung des Kartons wird dieser zurück in die Kommissionierung geschickt. In der Packerei werden die über eine Fördertechnik angelieferten Versandkartons für einen sicheren Transport zum Kunden mit Luftpolstern aufgefüllt, Lieferschein, Rechnung oder Packstückinhaltsliste, die systemseitig erstellt werden, eingelegt und der Karton mit einem Deckel verschlossen. Es müssen sodann weitere Etiketten auf dem Karton angebracht werden. Umfasst eine Lieferung nur ein kleineres Volumen, ist ein passender kleinerer Karton zu nutzen.

Für diese Tätigkeiten existieren die Aufgaben-/Tätigkeitsbeschreibungen Nr. 83 (Kommissionierung Pick by light), Nr. 32 (Clearing) und Nr. 33 (Packerei). In diesen sind neben einer Beschreibung von „Teilaufgaben“ Angaben zum „Erforderlichen Können“ enthalten. Dabei sind für die Kommissionierung Pick by light (Nr. 83) die Dauer der erforderlichen Anlernzeit mit „3 - 4 Wochen“ und ein „Erfahrungsaufbau von ca. weiteren 4 - 6 Wochen“ sowie eine „Gesamtanlernzeit 7 - 10 Wochen“ angegeben, für Clearing (Nr. 32) „Ca. 3 - 4 Wochen (Anlernen inklusiver Erfahrungsaufbau)" und für die Packerei (Nr. 33) „Ca. 4 - 5 Wochen (Anlernen inklusive Erfahrungsaufbau)“. Unter „Eingruppierung“ wird jeweils Entgeltgruppe E 2 BETV angegeben. Wegen der Einzelheiten der genannten Funktionsbeschreibungen Nrn. 32, 33 und 83 wird auf Blatt 120 bis 126 der Akten Bezug genommen.

Darüber hinaus gibt es im Lager seit dem Jahr 2012 so genannte Kombi-Stellen. Diese wurden eingeführt, um durch qualifiziertere Arbeitnehmer bessere Vertretungsmöglichkeiten für abwesende Arbeitnehmer zu haben. Hierzu existiert die Aufgaben-/Tätigkeitsbeschreibung Nr. 124a. Diese hat ua. folgenden Inhalt:

„5. Aufgabenbeschreibung (Arbeitsablauf/Einzelaufgaben

Teilaufgaben

Ausführliche Beschreibung der Tätigkeit

Kommissionieren PbL

  1. Kontrolle Behälternummer und Displayanzeige (Nummernvergleich)
  2. Pickvorgang nach Anzeige, Abschluss durch Rückführen des Behälters in die Anlage, Kommissionieren nach Beachtung der eingesetzten Chargentrennern
  3. Nach ...

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