Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung. Betriebsratswahl. Wahlvorschlag. Wahlanfechtung wegen unzulässiger Verkürzung der Einreichungsfrist für Wahlvorschläge
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Betriebsratswahl ist ungültig, wenn die Einreichungsfrist für Wahlvorschläge ist nicht gewahrt wurde.
2. Die Einreichungsfrist für die Wahlvorschläge beträgt gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 BetrVGWO zwei Wochen. Die Frist beginnt mit dem Aushang des Wahlausschreibens.
3. Der Wahlvorstand ist nach §§ 41 BetrVGWO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB nicht berechtigt, die Einreichung von Wahlvorschlägen am letzten Tag der Frist auf eine bestimmte Uhrzeit zu begrenzen.
Normenkette
BetrVG § 19; BetrVGWO § 10; BetrVG WO § 41
Verfahrensgang
ArbG Gießen (Entscheidung vom 13.04.2011; Aktenzeichen 2 BV 6/10) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) bis 27) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Gießen vom 13. April 2011 - 2 BV 6/10 - teilweise abgeändert.
Die Betriebsratswahl vom 3. Mai 2010 wird für unwirksam erklärt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.
Die Beteiligte zu 29) ist ein Unternehmen mit Sitz in A, das sich u.a. auf kundenspezifische Roboterprodukte, Standardzellen, Systemlösungen und Dienstleistungen für die Automobil- und Zuliefererindustrie spezialisiert hat. Sie beschäftigt derzeit rund 390 Arbeitnehmer, u.a. die Beteiligten zu 1) bis 27) bzw. erstinstanzlich zu 1) bis 37). Der Beteiligte zu 28) ist der am 3. Mai 2010 gewählte Betriebsrat. Der Wahlvorstand war besetzt mit den Arbeitnehmern B (Wahlvorstandsvorsitzender und stellvertretender Betriebsrat des alten Betriebsrats), C (stellvertretender Vorsitzender und Vorsitzender des alten und neuen Betriebsrats), D, E und F (Mitglieder des neuen Betriebsrats).
Nach dem am 10. März 2010 erlassenen Wahlausschreiben (Bl. 80 ff. d. A.) wurde das Ende der Einreichungsfrist für Wahlvorschläge auf den 24. März 2010 um 11.30 Uhr festgesetzt. Das Büro des Wahlvorstands befand sich im Betriebsratsbüro und war täglich von 10.00 Uhr bis 11.30 Uhr geöffnet. Herr E hat die Liste "Die Liste" am 24. März 2010 beim Wahlvorstand eingereicht. Ebenfalls eingereicht worden war die Liste "G".
Vor Fristablauf sammelten die Listenvertreter Frau H und Herr I 25 Stützunterschriften für ihre Liste mit dem Kennwort "RAP/BIW" (Bl. 84 ff. d. A.). Herr J sammelte 24 Stützunterschriften für einen weiteren Wahlvorschlag (Bl. 86 ff. d. A.). Herr K hatte bereits einige Tage zuvor 25 Stützunterschriften für eine Liste mit dem Kennwort "Paint" (Bl. 88 ff. d. A.) gesammelt.
Am 24. März 2010 gegen 11.00 Uhr hielten sich Herr B, Herr E und Frau F im Betriebsratsbüro auf. Zu einer streitigen Zeit nach 11.00 Uhr kam noch Herr C hinzu. Außerdem kamen die Mitarbeiter/innen I, H, L, J, K, M und N hinzu. Herr I fragte Herrn C, ob es eine Personen- oder Listenwahl gebe. Die Antwort von Herr C ist streitig. Herr C verwies diese Personen dann des Raumes, woraufhin sie vor dem Betriebsratsbüro warteten.
Von 390 wahlberechtigten Arbeitnehmern haben 24 die Liste "Die Liste" gewählt und 76 die Liste "G". 159 Wähler haben ungültige Stimmzettel abgegeben und 131 wahlberechtigte Arbeitnehmer haben nicht gewählt. Von dem Wahlvorschlag "Die Liste" wurden drei Kandidaten in den Betriebswart gewählt, die übrigen Betriebsratsmitglieder stammen von der Liste "G" (Bekanntmachung des Wahlergebnisses Bl. 75 ff. d. A.).
Die (erstinstanzlichen) Beteiligten zu 1) bis 37) haben behauptet, die Listenvertreter K, H, I und J hätten am 24. März 2010 beim Betreten des Wahlvorstandsbüros ihre Listen dabei gehabt. Herr I hätte Herrn C gefragt, ob es momentan eine Personen- oder Listenwahl gebe. Herr C habe geantwortet, es gebe zu diesem Zeitpunkt nur einen Wahlvorschlag für die Durchführung einer Personenwahl. Absichten einer Listenwahl seien ihm nicht bekannt. Auch das Wahlvorstandsmitglied F habe geäußert, dass es eine Personenwahl gebe. Bei Einreichung aller Listen hätte es eine andere Zusammensetzung des Betriebsrats gegeben (Bl. 63 d. A.).
Die erstinstanzlichen Beteiligten zu 1) bis 37) haben beantragt,
1. festzustellen, dass die Betriebsratswahl vom 3. Mai 2010 nichtig ist;
2. hilfsweise, die Betriebsratswahl vom 3. Mai 2010 für unwirksam zu erklären.
Der Betriebsrat hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Die Arbeitgeberin hat keinen Antrag gestellt.
Der Betriebsrat hat behauptet, das Verfahren sei von der Arbeitgeberin initiiert und geführt und auch bezahlt worden. Auf die Honorarabrechnungen vom 30. April 2010 (Bl. 258 ff. d. A.) und 31. Mai 2010 (Bl. 271 ff. d. A.) wird Bezug genommen. Es sei nicht mit den üblichen Gebührensätzen abgerechnet worden, sondern mit Stundensätzen von EUR 230 bis 280. Eine Abgrenzung zwischen dem Einstweiligen Verfügungsverfahren und dem Anfechtungsverfahren bestehe nicht, obwohl angeblich verschiedene Beteiligte die Verfahren führten. Die Arbeitgeberin habe auch außergerichtliche "Werbemaßnahmen" g...