keine Angaben zur Anfechtbarkeit
Entscheidungsstichwort (Thema)
Überstunden. Betriebliche Lohngestaltung. Freizeitausgleich. Vereinbarung. Jahrespauschalvergütung
Leitsatz (amtlich)
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG wird verletzt, wenn ein Arbeitgeber nach Kündigung einer Betriebsvereinbarung, die Freizeitausgleich für Mehrarbeit vorsieht, mit neu eingestellten Arbeitnehmern formularmäßig die Abgeltung etwaiger Mehrarbeit durch die Jahrespauschalvergütung vorsieht.
Normenkette
BetrVG 77 VI; BetrVG 87 I 10
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Beschluss vom 23.04.2008; Aktenzeichen 6 BV 1291/07) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 23. April 2008 – 6 BV 1291/07 – abgeändert.
Der Beteiligten zu 3) wird untersagt, in ihren Arbeitsverträgen im Gemeinschaftsbetrieb Frankfurt am Main Vertragsklauseln zu verwenden, nach deren Inhalt die von den Arbeitnehmern i. S. von § 5 Abs. 1 BetrVG geleisteten Mehrarbeitsstunden mit dem vereinbarten Jahresgehalt pauschal abgegolten sind, ohne dass hierfür jeweils die Zustimmung des Beteiligten zu 1) oder ein sie ersetzender Spruch der Einigungsstelle vorliegt.
Der Beteiligte zu 3) wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen diese Verpflichtung ein Ordnungsgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, bis zu 10.000,00 Euro angedroht. Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten um die Berechtigung der Arbeitgeberin, geleistete Überstunden aufgrund entsprechender Pauschalabgeltungsregelungen in formalisierten Arbeitsverträgen abweichend von einer nach ihrer Kündigung nachwirkenden Betriebsvereinbarung nicht mehr in bezahlter Freizeit ausgleichen zu müssen. Während der Beteiligte zu 1. (Betriebsrat) meint, die Beteiligte zu 3. (Arbeitgeberin) verstoße damit gegen § 77 Abs. 1 sowie § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, sind die Beteiligten zu 2. und 3. (Arbeitgeberinnen) der Auffassung, es seien nach der Kündigung der Betriebsvereinbarung in zulässiger Weise lediglich abweichende individualrechtliche Arbeitsvertragsregelungen getroffen worden. Wegen des übrigen insgesamt unstreitigen Sachverhalts, des Vortrags der Beteiligten im ersten Rechtszug sowie der dort gestellten Anträge wird ergänzend auf die Gründe zu I. (Bl. 81 – 84 d.A.) des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
Mit diesem am 23.04.2008 verkündeten Beschluss hat das Arbeitsgericht Frankfurt am Main – 6 BV 1291/07 – die Anträge zurückgewiesen. Zwar seien die Anträge zulässig. Mit seinem Begehren, es der Arbeitgeberin zu untersagen, Arbeitsvertragsklauseln zu verwenden, mit denen Mehrarbeitsstunden durch eine Jahresvergütung pauschal abgegolten werden sollten, mache er eigene Rechte geltend, sodass die Antragsbefugnis zu bejahen sei. Das Verfahren sei auch nicht erledigt, da die Arbeitgeberin aufgrund der zwischen dem 01.02.2006 und 17.04.2008 abgeschlossenen Arbeitsverträge mit der streitgegenständlichen Klausel Überstunden nicht in Freizeit ausgleiche. Das Festhalten an dieser Klausel stelle auch ihre weitere „Verwendung” dar, selbst wenn nach dem 17.04.2008 keine Verträge mit dieser Klausel mehr abgeschlossen wurden. Die Anträge des Betriebsrats seien jedoch unbegründet. Ein Unterlassungsanspruch lasse sich auf § 77 Abs. 1 BetrVG nicht stützen, da die fragliche Betriebsvereinbarung nach ihrer Kündigung durch die Arbeitgeberin lediglich noch nachwirke und dem Neuabschluss von ihr abweichender Arbeitsverträge nicht entgegenstehe, soweit nicht durch diese wiederum Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats verletzt würden. Das aber sei nicht der Fall, da die fragliche Vertragsklausel nicht Fragen der betrieblichen Lohngestaltung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG betreffe. Es würde nämlich durch die Überstundenabgeltungsklausel keine abstrakt-generellen, d.h. für alle betroffenen Mitarbeiter gültigen Kriterien der Lohnfindung für Überstunden geschaffen. Die streitgegenständliche Vertragsklausel beinhalte eine mitbestimmungsfreie individualrechtliche Lohnvereinbarung. Sie regele die Vergütungshöhe für eine nicht näher festgelegte Zahl von Arbeitsstunden. Wegen der vollständigen Gründe zu II. wird im Übrigen auf die S. 5 – 8 (Bl. 84 – 87 d.A.) des angefochtenen Beschlusses ergänzend Bezug genommen.
Gegen diesen dem Betriebsrat am 23.05.2008 zugestellten Beschluss hat er am 10.06.2008 Beschwerde eingelegt und dieses Rechtsmittel am 18.07.2008 begründet. Er meint, zwar könne gem. § 77 Abs. 6 BetrVG während des Nachwirkungszeitraums auch durch einzelvertragliche Regelungen von der Betriebsvereinbarung abgewichen werden. Der Regelungsspielraum werde jedoch durch die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 BetrVG sowie die Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes begrenzt. Die vereinbarten Pauschalabgeltungsabreden stellten einen allgemeinen Entlohnungsgrundsatz im Sinne...