Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Versendung von Wahlwerbung für die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung an die privaten Postadressen
Leitsatz (amtlich)
Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit der Wahl liegt vor, wenn Wahlbewerber sich nicht -wie die übrigen Wahlbewerber- darauf beschränken, Wahlwerbung auf der vom Arbeitgeber im Intranet hierfür zur Verfüguing gestellten Seite zu platzieren, sondern unmittelbar vor der Wahl Wahlwerbung an die privaten Postadressen der Wahlberechtigten versenden.
Normenkette
SGB IX § 177 Abs. 6; BetrVG § 19 Abs. 1; SchwbVWO § 12 Abs. 1 Sätze 1-2, § 11 Abs. 1 Nr. 4
Verfahrensgang
ArbG Gießen (Entscheidung vom 10.07.2019; Aktenzeichen 7 BV 20/18) |
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 4 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Gießen vom 10. Juli 2019 – 7 BV 20/18 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Anfechtung der Wahl zur Schwerbehindertenvertretung. Ferner begehrt der Arbeitgeber (Beteiligte zu 5) Einsicht in die mit Stimmabgabevermerken versehene Wählerliste.
Die drei Antragsteller sind wahlberechtigte Arbeitnehmer. Beteiligter zu 4 ist die im Betrieb des Arbeitgebers gewählte Schwerbehindertenvertretung. Der Arbeitgeber (Beteiligte zu 5) befasst sich mit der Entwicklung, Herstellung und dem Verkauf von Medikamenten aus Blutplasma. Er verfügt über 2 Standorte in A und B, wobei 186 schwerbehinderte Menschen in A und 4 in B zum Zeitpunkt der Wahl beschäftigt waren. Wegen des Wahlausschreibens wird auf Bl. 25, 26 der Akte Bezug genommen. Das vom Wahlvorstand festgestellte Wahlergebnis (Bl. 24 der Akte) wurde am 23. November 2018 ausschließlich am Standort A, nicht in B, ausgehängt. Hinsichtlich der Wahl der Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen entfielen auf den Kandidaten C 66 Stimmen und auf die Kandidatin D 29 Stimmen. Bezüglich der Stellvertreter entfielen auf den Kandidaten E 82 Stimmen und auf den Kandidaten F 37 Stimmen.
Mit einem am 5. Dezember 2018 beim Arbeitsgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz haben die Antragsteller zu 1-3 die Wahl der Schwerbehindertenvertretung vom 23. November 2018 angefochten. Mit einem am 7. Dezember 2018 eingegangenen Anwaltsschriftsatz hat der Arbeitgeber ebenfalls diese Wahl angefochten und darüber hinaus Einsicht in die mit den Stimmabgabevermerken versehene Wählerliste begehrt.
Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten und der gestellten Anträge wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss unter I. (Bl. 198-215 der Akte) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat den Anträgen stattgegeben; wegen der Begründung wird auf die Ausführungen im Beschluss unter II. (Bl. 215-225 der Akte) verwiesen.
Dieser Beschluss wurde dem Verfahrensbevollmächtigten der Schwerbehindertenvertretung am 24. Juli 2019 zugestellt, der dagegen am 20. August 2019 Beschwerde eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis 24. Oktober 2019 am 30. September 2019 begründet hat.
Die Schwerbehindertenvertretung ist der Auffassung, es könne dahinstehen, ob die 4 in B beschäftigten schwerbehinderten Menschen an der Wahl hätten beteiligt werden dürfen, denn dies habe keine Auswirkungen auf das Wahlergebnis gehabt. Deshalb sei es auch unerheblich, dass das Wahlergebnis in B nicht ausgehängt wurde.
Das Arbeitsgericht sei fehlerhaft davon ausgegangen, die Öffnung der Freiumschläge habe nicht in einer öffentlichen Sitzung des Wahlvorstandes stattgefunden. Der Wahlvorstand habe in Ziffer 17 des Wahlausschreibens (Bl. 25, 26 der Akte) mitgeteilt, dass die Auszählung der Stimmen und Feststellung des Wahlergebnisses am 23. November 2018 im Betriebsratsbüro, Sitzungszimmer, Raum 106 ab 16:00 Uhr stattfindet. Damit habe er der vom Arbeitsgericht zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 10. Juli 2013 Rechnung getragen.
Die Briefwahlunterlagen seien in einem Behältnis verschlossen gesammelt worden. Nach Herstellung der Öffentlichkeit seien die weißen Rückumschläge aus der verschlossenen Wahlurne genommen und auf den großen Konferenztisch gekippt und geöffnet worden. Sodann sei jeder dieser Briefumschläge geöffnet und kontrolliert worden, ob der jeweilige Absender wahlberechtigt war und eine ordnungsgemäße Erklärung nach § 11 SchwerbehindertenVWO vorlag. Der Rücklauf sei auf der ausgedruckten Liste der Wahlberechtigten im Beisein der Öffentlichkeit abgehakt worden. Danach seien die roten Wahlumschläge gesammelt auf den Konferenztisch auf einen Haufen gelegt und vermischt worden, um eine Rückverfolgung auf den jeweiligen Absender auszuschließen. Diese seien dann zu Zehnerpaketen zusammengefasst, vom Wahlvorstandsvorsitzenden geöffnet, die Stimmzettel laut verlesen und den weiteren Mitgliedern des Wahlvorstands gezeigt worden. Die Zahl der Rückumschläge und der Stimmzettel sei deckungsgleich.
Mit Schriftsatz vom 3. Januar 2020 (Bl. 320 ff. der Akte) trägt die Schwerbehindertenvertretung zum Vorgang der Auszä...