Entscheidungsstichwort (Thema)
Interessenausgleich und Zeitpunkt der Wahl eines Betriebsrats. Zuständigkeit der Einigungsstelle für Sozialplan. Offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle
Leitsatz (amtlich)
Ein erst nach dem Beginn der Durchführung einer Betriebsänderung gewählter Betriebsrat ist für den Abschluss eines Interessenausgleichs anlässlich dieser Maßnahme im Sinne von § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG offensichtlich unzuständig. Hinsichtlich eines Sozialplans kann nach dem derzeitigen Stand der Diskussion in Rechtsprechung und Literatur ein Einigungsstellenbestellungsantrag dagegen nicht wegen offensichtlicher Unzuständigkeit der Einigungsstelle zurückgewiesen werden.
Normenkette
BetrVG §§ 76, 111-112; ArbGG § 98; BetrVG § 112a Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Kassel (Entscheidung vom 20.08.2013; Aktenzeichen 3 BV 7/13) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Kassel vom 20. August 2013 - 3 BV 7/13 - unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen zum Teil abgeändert und folgendermaßen neu gefasst:
Der Richter am Arbeitsgericht Dr. A wird zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Thema "Verhandlung und Entscheidung über einen Sozialplan aus Anlass der Stilllegung des Betriebes B zum 31. Dezember 2013" bestellt.
Die Zahl der Beisitzer beträgt zwei pro Seite.
Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Bestellung einer Einigungsstelle.
Die zu 2) beteiligte Arbeitgeberin ist eine Tochtergesellschaft der C - (nachfolgend C), die ihre gesamten Gesellschaftsanteile hält. Ihr Unternehmenszweck ist der Betrieb eines Callcenters für die C. Diese Aufgabe wurde von der C auf sie übertragen. Zu deren Erledigung betrieb die Arbeitgeberin zwei Betriebsstätten in D sowie in B. In letzterer Betriebsstätte beschäftigt die Arbeitgeberin etwa vierzig Arbeitnehmer.
Der Verwaltungsrat der C beschloss am 18. Dezember 2012, den Vorstand der C mit der Einleitung von Maßnahmen zur Beendigung des Geschäftsbetriebs der Arbeitgeberin zu beauftragen, da die C deren Funktionen wieder selbst übernehmen wollte. Am 21. Januar 2013 beschloss der Vorstand der C, den Betrieb der Arbeitgeberin bis 31. Dezember 2013 fortzusetzen. Am 08. März 2003 traf die Gesellschafterversammlung der C die Entscheidung, die Arbeitgeberin zu liquidieren. Hierüber unterrichtete die Arbeitgeberin die Mitarbeiter der Betriebsstätte B am 22. März 2013. Mit Schreiben vom 23. März 2013 riefen Arbeitnehmer des Betriebs zu einer Betriebsversammlung am 28. März 2013 zum Zweck der Bildung eines Wahlvorstands auf. Dieser kam an diesem Tag nicht zu Stande. Mit einem Schreiben vom 28. März 2013 wurde erneut zu einer Betriebsversammlung am 29. April 2013 geladen. Am 25. April 2013 vereinbarte die C mit der Arbeitgeberin, den der Tätigkeit der Arbeitgeberin zugrunde liegenden Dienstleistungsvertrag bezüglich der Betriebsstätte D zum 30. Juni 2013 und im Übrigen zum 31. Dezember 2013 zu beenden. Am selben Tag beschloss die Geschäftsführung der Arbeitgeberin, ihren Geschäftsbetrieb entsprechend zu diesem Termin stillzulegen. Am 29. April 2013 wurde ein Wahlausschreiben zu einer Betriebsratswahl am 07. Mai 2013 ausgehängt. Das Ergebnis der Wahl vom 07. Mai 2013 wurde am 13. Mai 2013 bekannt gegeben. Am selben Tag konstituierte sich der antragstellende Betriebsrat. Dieser verlangte von der Arbeitgeberin die Aufnahme von Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan anlässlich der Betriebsstilllegung. Nachdem die Arbeitgeberin dies ablehnte, verfolgt der Betriebsrat sein Anliegen im vorliegenden Einigungsstellenbestellungsverfahren weiter.
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf die Ausführungen im tatbestandlichen Teil des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat den Richter am Arbeitsgericht Dr. A zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Thema "Interessenausgleich/Sozialplan aus Anlass einer beabsichtigten Betriebsstilllegung" bestellt und die Zahl der Beisitzer auf drei pro Seite festgesetzt. Wegen der Begründung wird auf die Ausführungen unter II. des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
Die Arbeitgeberin hat gegen den am 27. August 2013 zugestellten Beschluss am 02. September 2013 Beschwerde eingelegt und diese gleichzeitig begründet. Sie hält an ihrer Ansicht fest, dass die Einigungsstelle angesichts der eindeutigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der gemäß bei vor der Konstituierung eines Betriebsrats eingeleiteten Betriebsänderungen keine Beteiligungsrechte nach den §§ 111 ff BetrVG bestehen, offensichtlich unzuständig sei. Abweichende Ansichten seien vereinzelt geblieben. Sie behauptet, am 08. März 2013 sei die unternehmerische Entscheidung zur Stilllegung des Betriebes definitiv getroffen gewesen. Dies sei in der Betriebsversammlung vom 22. März 2013 eindeutig kommuniziert worden. Eine Besetzung der Einigungsstelle mit drei Beisitzern pro Seite sei nicht erforderlich.
Wegen des weiteren zweitinstanzlich...