Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung einer Betriebsratswahl. Verstoß des Wahlvorstands gegen § 7 Abs. 2 S. 2 WahlO
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Wahlvorstand darf sich im Rahmen der Prüfung von Vorschlagslisten nicht darauf beschränken, eine Liste allein aufgrund des äußeren Eindrucks der deutlich erkennbaren Streichung einer Kandidatin zurückzuweisen. 2. Er hat vielmehr Nachforschungen anzustellen, etwa durch Nachfragen beim Listenvertreter sowie bei stichprobenartig ausgewählten Listenmitgliedern bzw. Wahlberechtigten, die Stützunterschriften geleistet haben.
Normenkette
BetrVG § 19 Abs. 2 S. 1, 2
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 18.12.2023; Aktenzeichen 15 BV 741/22) |
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 5 und 6 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 18. Dezember 2023 - 15 BV 741/22 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Anfechtung einer Betriebsratswahl.
Im Betrieb des Arbeitgebers, der etwa 6500 Mitarbeiter beschäftigt, fand vom 10. bis 12.05.2022 auf der Grundlage des in der Sitzung des Wahlvorstandes vom 14.03.2022 beschlossenen Wahlausschreibens (Bl. 10ff der Akte) eine Betriebsratswahl statt, deren Wahlergebnis mit Schreiben vom 24.05.2022 (Bl. 8, 9 der Akte) bekannt gemacht wurde.
Die Antragsteller zu 1-4 sind im Betrieb beschäftigte Wahlberechtigte. Beteiligter zu 5 ist der aus der Betriebsratswahl vom 10. bis 12.05.2022 hervorgegangene Betriebsrat. Beteiligter zu 6 ist der Arbeitgeber.
Mit einem am 07.06.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz haben die Antragsteller die Betriebsratswahl vom 10. bis 12.05.2022 angefochten.
Sie haben die Wahlanfechtung auf folgende Gründe gestützt:
1. Ein Abdruck des Wahlausschreibens sei erst am 01.04.2022 vom Wahlvorstand ausgehängt worden.
2. Der Antragsteller zu 1 reichte am Freitag, 25.03.2022 um 9:12 Uhr als Listenvertreter die Vorschlagsliste mit dem Kennwort "A", auf der die unter der Nr. 13 genannte Kandidatin B gestrichen war (Bl. 14 der Akte), ein. Der Wahlvorstand bewertete mit Schreiben vom 28.03.2022 (Bl. 16 der Akte) die Liste - wegen der Streichung der Kandidatin B - als ungültig. Mit E-Mail vom 01.04.2022 forderte der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller den Wahlvorstand auf, die Liste zuzulassen. Nachdem die Wahlbewerberin B am 9.2.2022 ihre Kandidatur widerrufen hatte, hätten die übrigen Unterzeichner der Liste am 10.2.2022 in einer Teams-Konferenz ihr Einverständnis mit der Streichung und der sich aus der Streichung ergebenden Reihenfolge der Wahlbewerber auf der Vorschlagsliste erklärt mit Ausnahme der Kandidatinnen zu Nr. 15 und Nr. 19, die in einem Telefonat am selben Tag keine Einwände erhoben und mit beidem einverstanden gewesen seien (Bl. 17, 95R, 154f der Akte). Mit Schriftsatz vom 26.04.2022 reichten die Antragsteller zu 1 und 2 eine einstweilige Verfügung auf Zulassung der Liste ein, der das Arbeitsgericht am 03.05.2022 stattgegeben hat (Beschluss im Verfahren 18 BVGa 177/22, Bl. 26 ff. der Akte). In diesem Beschluss führt das Arbeitsgericht auf Seite 6 folgendes aus: "Darüber hinaus versicherte der Beteiligte zu 1 an Eides statt, dass er sich in einer Telefonkonferenz Anfang Februar 2022 bei allen übrigen Kandidaten mit Ausnahme der unter der laufenden Nr. 15 und 19 befindlichen Kandidatinnen erkundigte, ob Einwände gegen die Streichung der Kandidatin B bestehen. Niemand habe Einwände erhoben. In Verbindung mit den vom Beteiligten zu 1 in der mündlichen Verhandlung vom 03.05.2022 ergänzend gemachten Erläuterungen, dass innerhalb dieser Telefonkonferenz jeder der Anwesenden Zeit gehabt habe sich zu der Streichung zu äußern und es einen Austausch über die Streichung mit Randbemerkungen einzelner Teilnehmer gab, steht für die Kammer mit der im Rahmen der im einstweiligen Verfügungsverfahren erforderlichen Sicherheit fest, dass alle im Rahmen der Telefonkonferenz anwesenden Kandidaten Einwände gegen die Streichung hätten erheben können. Dies ist im vorliegenden Fall ausreichend, um das Einverständnis der übrigen Kandidaten mit der geänderten Wahlvorschlagsliste festzustellen. Eine konkrete Formvorschrift für das Einverständnis ist in diesem Zusammenhang nicht gegeben, sodass das Einverständnis auch in dieser Art und Weise konkludent hat erklärt werden können. Die Kandidaten Nr. 15 und Nr. 19 erhoben im Rahmen eines am 10.2.2022 persönlich geführten Telefonats, welches der Beteiligte zu 1 auch an Eides statt versicherte, ebenfalls keine Einwände gegen die Streichung der Kandidatin Nr. 13. Die Kammer vermag auch nicht zu erkennen, dass ein etwaig langes während der Telefonkonferenz im Februar 2022 geführtes Gespräch zwischen den übrigen Kandidaten der Liste dafür spreche, dass die Liste ohne Streichung von Frau B bereits vorab zur Einholung von Stützunterschriften im Umlauf war." Die Antragsteller sind der Auffassung, der Wahlvorstand hätte daher die Liste zulassen müssen. Jedenfalls habe er im Rahmen der Üb...