keine Angaben zur Rechtskraft

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Verhaltenskodex. Ethikrichtlinie. Meldepflicht. Whistleblower

 

Leitsatz (amtlich)

Enthält eine Ethikrichtlinie eine verbindliche Verpflichtung, Verstöße anderer Mitarbeiter gegen dieses Regelwerk zu melden („Whistleblower-Klausel”), so ist sie regelmäßig insgesamt gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig, unabhängig davon, ob die in der Richtlinie aufgeführten Pflichten des Ordnungsverhalten oder das Arbeitsverhalten betreffen oder nur gesetzlich bestehenden Verpflichtungen wiederholen.

 

Normenkette

BerVG § 87 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Offenbach am Main (Beschluss vom 24.11.2005; Aktenzeichen 3 BV 44/04)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 22.07.2008; Aktenzeichen 1 ABR 40/07)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Bet. zu 1) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 24. November 2005 – 3 BV 44/04 – abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die Einführung und Anwendung des A der erzwingbaren Mitbestimmung des Bet. zu 1) unterliegt.

Die Anschlussbeschwerde der Bet. zu 2) bis 13) wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten um Mitbestimmungsrechte bei der Einführung und Anwendung eines „Code of Business Conduct” (im Folgenden: Verhaltenskodex).

Die Beteiligten zu 2. – 13. (im Folgenden: Arbeitgeberin) sind deutsche Tochterunternehmen der US-amerikanischen Gesellschaft B, die an der C gelistet ist. Der Beteiligte zu 2. ist der für die in den einzelnen Betrieben und Konzernunternehmen der Arbeitgeberin durch die Beteiligten zu 14. – 34. sowie 37. – 41. gebildete Konzernbetriebsrat (im Folgenden: Konzernbetriebsrat). Nach Sec. 202 A Ziffer 10 des C ist die US-amerikanische Muttergesellschaft der Arbeitgeberin zur Veröffentlichung eines „Code of business conduct and ethics” verpflichtet, der Regelungen zur Verhinderung von und dem Umgang mit Interessenkonflikten, zur Verschwiegenheitspflicht, zu lauterem und fairem Geschäftsgebaren, zum Schutz von Unternehmenseigentum, zur Verpflichtung der Mitarbeiter zu gesetzeskonformem Verhalten und zur Ermutigung der Mitarbeiter, Gesetzesverstöße und Verstöße gegen den Kodex zu melden, enthalten soll. Zur Erfüllung dieser Verpflichtung erstellte die Muttergesellschaft für alle weltweit bei ihr beschäftigten Mitarbeiter im Jahr 2004 einen Verhaltenskodex, der auch für die bei der Arbeitgeberin beschäftigten Arbeitnehmer gelten soll. Ihm ging unter dem Titel „A Verhaltenskodex und Geschäftspraktiken” eine Richtlinie vom 01.01.1995 voraus, die ihrerseits weitgehend mit einer früheren Veröffentlichung vom 01.01.1993 übereinstimmt (Bl. 153 – 175 d.A.). Eine weitere Version unter dem Namen „Verhaltenskodex und Geschäftspraktiken” stammt aus dem Jahr 1998 (Bl. 176 – 197 d.A.). Schließlich existiert aus dem Jahr 2002 ein Text unter dem Titel „Ihr Leitfaden für korrektes Verhalten im Geschäftsleben – Verhaltenskodex” (Bl. 198 – 226 d.A.).

Der streitgegenständliche Verhaltenskodex aus dem Jahr 2004 gliedert sich in mehrere Abschnitte, deren erster „Unsere Beziehungen zum Unternehmen und untereinander” regelt. Dort heißt es u.a.:

„Wir leben nach unseren Werten

Als Vertreter des Unternehmens gegenüber der Außenwelt … werden wir verantwortlich und in einer Weise handeln, die einen guten Eindruck von uns und unserem Unternehmen hinterlässt. …

Ein weiterer Abschnitt regelt „Unsere Beziehungen zu unseren Kunden”. Darin ist u.a. der Umgang mit Kundenbewirtungen und Geschenken geregelt. Der Abschnitt „Unsere Beziehungen zu unseren Lieferanten” enthält u.a. das Postulat:

„Wir lassen uns nicht von Geschenken beeinflussen.”

Unter der Überschrift „Unsere Beziehungen zu anderen” verlangt der Kodex u.a.:

„Wir erwarten von allen, die das Unternehmen vertreten, ein Verhalten mit hoher Integrität.”

Ein weiterer Abschnitt trägt die Überschrift: „Unser Programm zur Einhaltung der Verhaltensregeln und zur Wahrung der Integrität (I&C-Programm;). Darin heißt es u.a.:

„Die Einhaltung der Verhaltensregeln ist die erste und wichtigste Aufgabe jedes Mitarbeiters. Jeder leitende Angestellte und Mitarbeiter des Unternehmens ist persönlich dafür verantwortlich, dass er diesen Verhaltenskodex und die anderen Richtlinien des Unternehmens, die für seine Arbeit und Stellung relevant sind, kennt und versteht.

… Alle A-Mitarbeiter müssen diesen Verhaltenskodex sowie die Grundsätze und Verfahren des Unternehmens genau befolgen und mutmaßliche Verstöße umgehend melden.

Um die Umsetzung dieses Verhaltenskodex zu vereinfachen, sind die Mitarbeiter verpflichtet, uneingeschränkt im Rahmen eines Untersuchungsverfahrens des Unternehmens zu kooperieren …

Die Nichterfüllung jeglicher der in diesem Verhaltenskodex aufgestellten Verpflichtungen kann ein Disziplinarverfahren bis hin zur Kündigung nach sich ziehen …”

Der Verhaltenskodex endet mit einem Abschnitt „A Verhaltensweisen”. Darin heißt es u.a.:

„Die Beurteilung von Personen basiert sowohl auf den von Ihnen erzielten Ergebnissen als auch darauf, inwieweit Sie A V...

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