Entscheidungsstichwort (Thema)
Erforderliche Dreiviertel-Mehrheit für Abberufung eines Mitglieds aus Betriebsausschuss. Kein Sachzwang der Betriebsratsmitglieder bei Abstimmung über Ausschluss aus Betriebsausschuss. Mehrheitswahl bei Bestimmung eines Ersatzmitglieds für Betriebsausschuss nach ausgeschöpfter Vorschlagsliste
Leitsatz (amtlich)
1. Die Abberufung eines Mitglieds des Betriebsausschusses bedarf (allein) der nach § 27 Absatz 1 Satz 5 BetrVG erforderlichen Mehrheit von drei Vierteln der Mitglieder des Betriebsrats. Es handelt sich um eine politische Entscheidung, bei der die Betriebsratsmitglieder in ihrem Abstimmungsverhalten frei sind, ohne an sachliche Gründe gebunden zu sein. Ausreichend ist, dass sie subjektiv der Ansicht sind, der derzeitigen Inhaberin der betreffenden Position nicht mehr das erforderliche Vertrauen entgegen zu bringen oder auch nur – aus welchen Gründen auch immer – einen Wechsel zu wollen.
2. Für die Abberufung von der Freistellung gilt nach § 38 Absatz 2 Satz 8 BetrVG § 27 Absatz 1 Satz 5 BetrVG entsprechend.
3. Für die Nachberufung in diese Funktionen gilt § 25 Absatz 2 Satz 1 BetrVG entsprechend. Es rückt das nächste Mitglied aus der Vorschlagsliste der Freistellungswahl (Betriebsausschusswahl) nach und zwar solange, bis die Liste erschöpft ist. Sodann erfolgt die Bestimmung des Ersatzmitglieds nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl
Normenkette
BetrVG § 27 Abs. 1 S. 5, § 38 Abs. 2 S. 8, § 25 Abs. 2 S. 1, § 19; ArbGG § 87 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 25.02.2020; Aktenzeichen 16 BV 497/19) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 25. Februar 2020 – 16 BV 497/19 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Abberufung der Antragstellerin als Mitglied des Betriebsausschusses und als freigestelltes Betriebsratsmitglied sowie über die Wirksamkeit der Nachberufung der Beteiligten zu 4 und 5 als freigestellte Betriebsratsmitglieder sowie des Beteiligten zu 6 als Mitglied des Betriebsausschusses.
Der Arbeitgeber (Beteiligter zu 3) ist ein Kreditinstitut, das in A seine Zentrale unterhält, für die der antragstellende Betriebsrat gebildet ist. Diesem gehören die Antragstellerin sowie die Beteiligten zu 4-6 an.
In einer außerordentlichen Sitzung des Betriebsrats am 26. September 2019 wurde die Antragstellerin mit 35 zu 4 Stimmen als Mitglied des Betriebsausschusses und aus ihrer 100-prozentigen Freistellung abberufen; insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll vom 26. September 2019 (Bl. 89 bis 92 der Akte) Bezug genommen. In ihre bisherige Funktion als vollständig freigestelltes Betriebsratsmitglied rückten die Beteiligten zu 4 und 5 zu je 50 % nach. Hinsichtlich der Liste „B“ bezüglich der Freistellungswahl wird auf Bl. 117 der Akte Bezug genommen. Der Beteiligte zu 6 rückte nach der „B“- Liste BA (Betriebsausschuss), Bl. 120 der Akte, für die Antragstellerin in den Betriebsausschuss nach.
Dagegen hat sich die Antragstellerin mit ihren am 10. Oktober 2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen Anträgen gewandt.
Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten und der gestellten Anträge wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss unter I. (Bl. 169-172 der Akte) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge zurückgewiesen; wegen der Begründung wird auf die Ausführungen im Beschluss unter II. (Bl. 172R bis 190R der Akte) verwiesen.
Dieser Beschluss wurde dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am 22. April 2020 zugestellt, der dagegen am 18. Mai 2020 Beschwerde eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis 22. Juli 2020 am 20. Juli 2020 begründet hat.
Die Antragstellerin rügt, hinsichtlich ihrer Abberufung als Mitglied des Betriebsausschusses hätte das Arbeitsgericht wegen des zu ihren Gunsten bestehenden Minderheitenschutzes das Erfordernis eines objektiven Grundes für die Abberufung prüfen müssen. Daran fehle es. Zwar sehe § 27 Abs. 1 S. 5 BetrVG eine ¾ Mehrheit der Stimmen vor. Bei Minderheiten unter 25 % der Stimmen führe dies jedoch zu einer Aushöhlung des Schutzes. Hier habe die Mehrheit die Teilung der Liste B bewusst zur Abwahl der Antragstellerin ausgenutzt. Daher sei von einer Einschränkung der Abwahlmöglichkeit auszugehen. Entsprechendes gelte für ihre Abberufung als freigestelltes Betriebsratsmitglied. Wegen der Fehlerhaftigkeit der Abwahl sei auch die Bestimmung der freizustellenden Betriebsratsmitglieder sowie ihrer Nachfolger im Betriebsausschuss unwirksam erfolgt. Im Übrigen sei zur Bestimmung der freizustellenden Betriebsratsmitglieder eine Neuwahl im Wege der Mehrheitswahl erforderlich gewesen, denn die Zerschlagung der ursprünglichen Vorschlagsliste hätte mit der Erschöpfung der Vorschlagsliste gleichgesetzt werden müssen. Beide Situationen seien miteinander vergleichbar. Dies gelte auch für die Bestimmung des neuen Ausschussmitglieds.