Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit einer Betriebsratswahl bei Öffnung der Freiumschläge der Briefwähler vor Abschluss der Stimmabgabe

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Öffnung der Freiumschläge der Briefwähler hat gemäß § 26 Absatz 1 Wahlordnung BetrVG in öffentlicher Sitzung des Wahlvorstands zu erfolgen. Dies erfordert, dass Ort und Zeitpunkt sowie Gegenstand der Sitzung rechtzeitig vorher bekannt gemacht werden.

2. Selbst unter Zugrundelegung einer Einschätzungsprärogative des Wahlvorstands erfolgt eine Öffnung der Freiumschläge nicht unmittelbar vor Abschluss der Stimmabgabe, wenn diese so frühzeitig begonnen wird, dass sie eine Stunde vor dem Ende der Stimmabgabe bereits abgeschlossen ist.

 

Normenkette

BetrVG § 19 Abs. 1; WO § 26 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 18.01.2018; Aktenzeichen 3 BV 494/17)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 20.05.2020; Aktenzeichen 7 ABR 42/18)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 18. Januar 2018 - 3 BV 494/17 - abgeändert:

Die Betriebsratswahl vom 21. Juni 2017 in dem Betrieb der Beteiligten zu 2 wird für unwirksam erklärt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Anfechtung einer Betriebsratswahl.

Antragsteller ist eine Gewerkschaft, die mit einem am 3. Juli 2017 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz die Unwirksamkeit einer Betriebsratswahl geltend gemacht hat.

Im Hotelbetrieb des Arbeitgebers (Beteiligte zu 2) fand am 21. Juni 2017 auf der Grundlage des Wahlausschreibens Bl. 19, 20 der Akte eine Betriebsratswahl statt, bei der der zu 3 beteiligte Betriebsrat gewählt wurde. Das Wahlergebnis wurde am 23. Juni 2017 bekannt gegeben.

Der Antragsteller hat behauptet, es seien nicht sämtliche an die Briefwähler ausgegebenen Umschläge frankiert worden.

Er hat die Ansicht vertreten, die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl ergebe sich darüber hinaus daraus, dass (unstreitig) etwa 2 Stunden vor Ende der Stimmabgabe, also gegen 16:30 Uhr, der vollständig versammelte Wahlvorstand im Wahlraum damit begann, die Freiumschläge der 46 Briefwähler zu öffnen, die Stimmabgabe in der Wählerliste zu vermerken und die Wahlumschläge in die Urne zu werfen. Dies nahm etwa 1 Stunde in Anspruch. Der Zeitpunkt des Beginns der Öffnung der Freiumschläge war vom Wahlvorstand nicht gesondert öffentlich bekannt gemacht worden.

Der Antragsteller hat beantragt,

festzustellen, dass die Betriebsratswahl vom 21. Juni 2017 unwirksam ist.

Die Beteiligten zu 2 und 3 haben beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Arbeitgeber und der Betriebsrat haben behauptet, lediglich diejenigen Mitarbeiter, die persönlich mit einem Formular beim Wahlvorstand Briefwahl beantragt haben, die Briefwahlunterlagen sodann beim Wahlvorstand abholten und ausdrücklich erklärten, sie würden sogleich im Betrieb wählen und die Unterlagen wieder zurückbringen, hätten keinen frankierten Rückumschlag erhalten. Es stelle eine sinnlose Förmelei dar, auch in diesen Fällen eine Frankierung zu verlangen.

Soweit (unstreitig) bereits gegen 16:30 Uhr mit der Öffnung der Freiumschläge begonnen wurde, sei dies in öffentlicher Sitzung des Wahlvorstands im Wahlraum erfolgt. Der Wahlvorstand habe einen Prognosespielraum hinsichtlich der Frage, wie lange er für die Öffnung der Freiumschläge, das Entnehmen der Wahlumschläge sowie der vorgedruckten Erklärungen benötige. Innerhalb dessen halte sich der gegen 16:30 Uhr stattgefundene Beginn dieser Handlungen, sodass dies, wie § 26 Abs. 1 WahlO es vorsehe, unmittelbar vor Abschluss der Stimmabgabe erfolgt sei.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss unter I. (Bl. 107-111 der Akte) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die im Betrieb vertretene Gewerkschaft habe das Verfahren ordnungsgemäß eingeleitet und die Betriebsratswahl fristgerecht angefochten. Ein Anfechtungsgrund liege jedoch nicht vor. Es sei nicht zu beanstanden, wenn diejenigen Mitarbeiter, die ausdrücklich erklärten, dass sie bereits im Unternehmen gewählt haben und die beantragten Briefwahlunterlagen dort wieder zurückgaben, keinen frankierten größeren Umschlag (Freiumschlag) erhielten. Auch ein Verstoß gegen § 26 Abs. 1 WahlO liege nicht vor, denn die Öffnung der Freiumschläge erfolgte während der laufenden Wahl im Wahllokal, sodass die Öffentlichkeit gewährleistet gewesen sei. Es sei nicht zu beanstanden, wenn der Wahlvorstand mit dem Beginn um 16:30 Uhr sich einen entsprechenden Zeitpuffer für die notwendige Prüfungsmöglichkeit der Unterlagen vorbehalten wollte.

Dieser Beschluss wurde dem Antragsteller am 20. Februar 2018 zugestellt, der dagegen am 15. März 2018 Beschwerde eingelegt und diese am 9. April 2018 begründet hat.

Der Antragsteller räumt ein, in Bezug auf § 24 Abs. 1 Nr. 5 WahlO möge man dem Arbeitsgericht im Hinblick auf die Fraglichkeit einer Beeinflussung des Wahlergebnisses noch folgen können. Keinesfalls sei di...

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