Entscheidungsstichwort (Thema)
Ort des Arbeitszeitbeginns. Vorrang des Tarifvertrages. Mitbestimmung über den Ort, an dem die Arbeitszeit eines Lokführers beginnt
Leitsatz (amtlich)
§ 53 des "Tarifvertrages für Lokomotivführer von Schienenverkehrsunternehmen" bzw. § 43 des "Funktionsspezifischen Tarifvertrages für Tätigkeiten der Funktionsgruppe 5" schließen ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG über den Ort, an dem die Arbeitszeit, beginnt aus.
Leitsatz (redaktionell)
›§ 53 des "Tarifvertrages für Lokomotivführer von Schienenverkehrsunternehmen" bzw. § 43 des "Funktionsspezifischen Tarifvertrages für Tätigkeiten der Funktionsgruppe 5" schließen ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG über den Ort, an dem die Arbeitszeit, beginnt aus.‹
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 2; LfTV § 53; FGr5-TV § 43
Verfahrensgang
ArbG Darmstadt (Entscheidung vom 07.06.2011; Aktenzeichen 10 BV 21/10) |
Tenor
Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 07. Juni 2011 - 10 BV 21/10 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A. Die Beteiligten streiten über den Umfang des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei der Festlegung des Beginns und des Endes der täglichen Arbeitszeit anlässlich des Tragens von Unternehmensbekleidung.
Der Beschwerdeführer (im Folgenden: Betriebsrat) repräsentiert die im Regionalverkehr Kur- und Mittelhessen beschäftigten Arbeitnehmer/innen. Die Beteiligte zu 2 (im Folgenden: Arbeitgeberin) ist ein Unternehmen, welches zum Konzern der A gehört und regionalen Nahverkehr durchführt. Sie ist an den Tarifvertrag für Lokomotivführer von Schienenverkehrsunternehmen (LfTV) und an den Tarifvertrag "Tätigkeiten der Funktionsgruppe 5 (FGr 5 - TV)" gebunden.
Jeweils Anfang Dezember eines Jahres werden bei der Arbeitgeberin für die Zeit bis Anfang Dezember des Folgejahres die Schicht-, Dienst- und personifizierten Einsatzpläne der Triebfahrzeugführer und Kundenbetreuer im Nahverkehr festgelegt. Die von der Arbeitgeberin vorgelegten Jahrespläne 2010/2011 lehnte der Betriebsrat mit der Begründung ab, dass Umkleidezeiten für das Tragen der Unternehmensbekleidung nicht berücksichtigt worden seien. Die daraufhin gebildete Einigungsstelle tagte am 02. Dezember 2010 und regelte in ihrem Spruch unter anderem folgendes:
"3. Der Betriebsrat wird den Einsatzplänen der folgenden Perioden des Jahres 2011 nicht die Zustimmung verweigern mit der Begründung "Einarbeitung Umkleidezeiten".
4. Die Betriebsparteien sind sich darüber einig, dass die Mitarbeiter/innen freiwillig entscheiden können, ob sie ihre UBK zuhause oder im Betrieb anziehen/ausziehen.
5. Die Betriebsparteien verpflichten sich unverzüglich die bestehenden betrieblichen Umkleidemöglichkeiten und Aufbewahrungsmöglichkeiten zu überprüfen und im Bedarfsfall zu schaffen. Etwaige Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bleiben unberührt.
6. Der vorgeschriebene Arbeitsplatz, an dem die Arbeitszeit der Tf und KiN beginnt, ist für die jeweilige Geltungsdauer der ab dem 12. Dezember 2010 in Kraft tretenden Schicht-/Dienst- und personifizierten Einsatzpläne die in diesen Plänen jeweils zugewiesene Meldestelle.
...".
Wegen der weiteren Regelungen im Spruch der Einigungsstelle wird auf die Kopie des Sitzungsprotokolls vom 02. Dezember 2010 - Blatt 34, 35 der Akten - Bezug genommen. Wegen des Weiteren unstreitigen Sachverhalts, des Vortrags der Beteiligten im ersten Rechtszug sowie der dort gestellten Anträge wird im Übrigen auf den tatbestandlichen Teil des angefochtenen Beschlusses - Blatt 90 bis Blatt 92 der Akten - ergänzend Bezug genommen.
Durch den am 07. Juni 2011 verkündeten Beschluss hat das Arbeitsgericht Darmstadt dem Antrag des Betriebsrats, festzustellen, dass dem Antragsteller ein Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zusteht, sofern die Antragsgegnerin gegenüber ihren Arbeitnehmern im Sinne des § 5 Abs. 1 BetrVG anordnet, nach der Konzernbetriebsvereinbarung vom 25. August 2010 verpflichtend zu tragende Dienstbekleidung außerhalb der durch Dienstpläne festgelegten Arbeitszeit an - oder auszuziehen, stattgegeben. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - kurz zusammengefasst - Folgendes ausgeführt: Ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Ziff. 2 BetrVG könne nicht angenommen werden, da vorrangige tarifliche Regelungen im Sinne des § 87 Abs. 1 S. 1 BetrVG vorlägen. Nach den einschlägigen §§ 53 Abs. 1 LfTV und 43 Abs. 1 FGr. 5 - TV, wonach die Arbeitszeit am vorgeschriebenen Arbeitsplatz beginne und ende, sei ausgeschlossen, da das Umkleiden bereits zur Arbeitszeit gehöre. Nach der Konzernbetriebsvereinbarung müsse die Arbeitsleistung in Unternehmensbekleidung erbracht werden, was voraussetze, dass der Arbeitnehmer bei Beginn der Arbeitszeit bereits umgekleidet sei und die Unternehmensbekleidung bis zum Ende der Arbeitszeit trage. Die tariflichen Regelungen - so das Arbeitsgericht weiter - seien hinsichtlich der streitgegenständlichen Rechtsfrage zwingende und abschließende inhaltlic...