Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufsichtsratswahl. Beabsichtigt die Gesellschaft die Abschaffung des bisherigen Mitbestimmungsmodells und besteht Streit über ihre Mitbestimmungsfähigkeit, hat sie das Verfahren nach § 97 Abs. 1 AktG und ggf. ein Statusverfahren beim Landgericht durchzuführen. Bis zum Abschluss dieses Verfahrens perpetuiert § 96 Abs. 2 AktG die bisherigen gesetzlichen Grundlagen der Unternehmensmitbestimmung und ist der Konzern- bzw. Gesamtbetriebsrat zur Bestellung des Hauptwahlvorstandes und dieser zur Einleitung der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat berechtigt. Statusverfahren. Wahl des Aufsichtsrats. Mitbestimmungsmodell. Mitbestimmungsfähigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Besteht bei einer Aktiengesellschaft im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Abschaffung des bisherigen Mitbestimmungsmodells Streit über die Mitbestimmungsfähigkeit, muss das Verfahren nach § 97 Abs. 1 AktG und ggf. ein landgerichtliches Statusverfahren durchgeführt werden, bis zu dessen Abschluss nach § 96 Abs. 2 AktG die bisherigen gesetzlichen Grundlagen der Unternehmensmitbestimmung fortgelten und der Konzern- bzw. Gesamtbetriebsrat zur Bestellung des Hauptwahlvorstands und dieser zur Einleitung der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat berechtigt ist.
Normenkette
MitbestG § 6 Abs. 2; MitbestGWO 3 § 2 Abs. 1; AktG § 96 Abs. 2, §§ 98-99, 104, 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Beschluss vom 23.06.2010; Aktenzeichen 17 BVGa 357/10) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 23. Juni 2010 – 17 BVGa 357/10 – abgeändert.
Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, dem Beteiligten zu 1) die Firmen und Anschriften der Unternehmen sowie die Zahlen der in diesen Unternehmen und Betrieben in der Regel beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schriftlich mitzuteilen, an denen die Beteiligte zu 2) mehrheitlich beteiligt ist.
Tatbestand
I.
Der Beteiligte zu 1) begehrt von der Beteiligten zu 2) Auskünfte für die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat.
Der Beteiligte zu 1) ist der aufgrund Beschlusses des Konzernbetriebsrats des X-Konzerns vom 12. April 2010 bestellte Hauptwahlvorstand für die Durchführung der Wahl der Arbeitnehmervertreter in einen Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG). Dieser konstituierte sich mit Datum vom 28. Mai 2010. Die Beteiligte zu 2) ist eine am 7. Juni 2004 gegründete Tochtergesellschaft der X Kliniken GmbH. Die Beteiligte zu 2) beschäftigt selbst weniger als 100 Arbeitnehmer. Für die 2005 durchgeführten Aufsichtsratswahlen wurden ihr etwa 20.000 Mitarbeiter des X-Konzerns über § 5 des Mitbestimmungsgesetzes (MitbestG) zugerechnet. Dies führte zu einem zuletzt 20-köpfigen Aufsichtsrat mit 10 Arbeitnehmervertretern.
Am 21. April 2008 entschied das OLG Frankfurt am Main (– 20 W 8/07 – BI. 79 – 89 d. A.), die Muttergesellschaft der Beteiligten zu 2), die X Kliniken GmbH, sei die Konzernobergesellschaft der X-Gruppe, die die Beteiligte zu 2) beherrsche und der gemäß § 5 MitbestG die Mitarbeiter der X-Gruppe zuzurechnen seien.
Am 31. März 2010 fand die Bilanzsitzung des bis dato bestehenden Aufsichtsrats der Beteiligten zu 2) und die Gesellschafterversammlung der Beteiligten zu 2) statt, in der die Entlastung für das Jahr 2009 beschlossen wurde. Am gleichen Tag teilte die Beteiligte zu 2) dem Aufsichtsrat mit, seine Amtszeit sei beendet. In den vergangenen Jahren fand die Bilanzsitzung des Aufsichtsrats stets im Juni oder Juli des jeweiligen Jahres statt.
Am 19. April 2010 beschloss die Gesellschafterversammlung der Beteiligten zu 2), diese solle zukünftig nicht mehr über einen Aufsichtsrat verfügen. Am 14. Mai 2010 erfolgte die entsprechende Eintragung in das Handelsregister. Die Beteiligte zu 2) führte weder ein Verfahren nach § 97 AktG durch noch leitete sie ein Statusverfahren gemäß § 98 AktG ein.
Mit Schreiben vom 28. April 2010 (Bl. 70 ff. d. A.) und durch Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 4. Mai 2010 (Bl. 73 ff. d. A.) bat der Konzernbetriebsrat des X-Konzerns um Stellungnahme der Beteiligten zu 2), warum bislang keine Einleitung der Aufsichtsratswahl erfolgt sei, und um Zustimmung zu einer gerichtlichen Notbestellung der bis 2010 im Aufsichtsrat tätigen Arbeitnehmervertreter. Mit Schreiben vom 1. Juni 2010 (Bl.105 d. A.) forderte der Hauptwahlvorstand von der Beteiligten zu 2) die Erteilung von Informationen. Am 8. Juni 2010 beschloss der Hauptwahlvorstand die Einleitung des vorliegenden Verfahrens.
Den Antrag des Konzernbetriebsrats vom 18. Mai 2010 auf Notbestellung der Arbeitnehmervertreter gemäß § 104 AktG wies das Amtsgericht Königstein durch Beschluss vom 7. Juli 2010 zurück.
Die Antragsschrift ist beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main am 10. Juni 2010 eingegangen. Der Hauptwahlvorstand ist der Ansicht gewesen, ungeachtet der Entscheidung des OLG Frankfurt am Main und des Gesellschafterbeschlusses, wonach ein Aufsichtsrat nicht mehr bestehe, seien Neuwahlen der Arbei...