Entscheidungsstichwort (Thema)

Beurteilungsspielraum für Allgemeinverbindlicherklärung. Dienstleistungsfreiheit und Verletzung durch Allgemeinverbindlicherklärung. Rentenbeihilfen im Baugewerbe

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Verschweißen schon verlegter Schienen gehört zu den Gleisbauarbeiten iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 18 VTV Bau.

2. Das öffentliche Interesse an einer Allgemeinverbindlicherklärung ist stets gegeben, wenn damit ein anerkanntes Interesse des Gesetzgebers nachvollzogen wird. Der dem Ministerium eingeräumte Beurteilungsspielraum ist weit. Eine gerichtliche Prüfung kommt nur insoweit in Betracht, als der Behörde wesentliche Fehler vorzuwerfen sind. Die Entscheidung des Ministeriums, einen Verfahrenstarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären, der Zwangsbeiträge für das Ausbildungswesen und eine Zusatzrente anordnet, liegt innerhalb dieses Ermessens.

3. Die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 ff. AEUV wird durch die Allgemeinverbindlicherklärung eines Verfahrenstarifvertrags nicht verletzt, wenn die diesem Tarifvertrag unterworfenen Arbeitgeber im Inland verpflichtet werden, einen Beitrag pro Arbeitnehmer an die ZVK-Bau zu zahlen. Die Gewährung einer - wenn auch nur geringen - Zusatzrente an die Arbeitnehmer deutscher Arbeitgeber durch den Tarifvertrag über Rentenbeihilfen im Baugewerbe (TVR), welche vom Willen des Arbeitgebers und eigenen Beiträgen des Arbeitnehmers unabhängig ist, und die Absicherung der dafür notwendigen Beitragserhebung nach §§ 18, 19 VTV durch die Allgemeinverbindlicherklärung bewirken einen Schutz der Arbeitnehmerinteressen. Auch die Verfolgung dieses Ziels als Teil des öffentlichen Interesses ist von dem Beurteilungsspielraum gedeckt.

 

Normenkette

VTV-Bau § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 18; TVG § 5; VTV §§ 18-19

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 16.01.2013; Aktenzeichen 7 Ca 347/13)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 16. Januar 2013 - 7 Ca 347/12 - wird zumindest soweit zurückgewiesen, als die Beklagte verurteilt worden ist, an den Kläger 5.671,00 EUR (in Worten: Fünftausendsechshunderteinundsiebzig und 0/100 Euro) (Mindestbeiträge Dezember 2006 bis einschließlich September 2007) zu zahlen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schluss-Urteil vorbehalten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten, ob die Beklagte in den Jahren 2006 bis 2011 den Sozialkassentarifverträgen des Baugewerbes unterworfen war, die Tarifverträge jeweils wirksam für allgemeinverbindlich erklärt wurden und die Beklagte daher zur Zahlung von Beiträgen (Zeitspanne Dezember 2006 bis Dezember 2011) für die von ihr beschäftigten Arbeitnehmer verpflichtet war.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Er hat nach den für allgemeinverbindlich erklärten tarifvertraglichen Regelungen des Baugewerbes (Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe - BRTV -, Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe - VTV -) insbesondere die Aufgabe, die Auszahlung der tarifvertraglich vorgesehenen Urlaubsvergütung zu sichern. Zu diesem Zweck haben die den Bautarifverträgen unterfallenden Arbeitgeber monatliche Beiträge in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes der Bruttolohnsumme der beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer und Pauschalbeträge für Angestellte an den Kläger zu zahlen. Seit 01. Januar 2010 ist der Kläger nach § 3 Abs. 3 VTV die zuständige Einzugsstelle für die eigenen Beiträge einschließlich der Nebenforderungen und diejenigen der ZVK-Bau.

Die Beklagte hat ihren Sitz in A/Landkreis B und führt nach ihren Angaben ausschließlich Schweißarbeiten aus. Sie führt die Firma "[Name] Schienenschweißung GmbH". Sie hat ihre Tätigkeit vorprozessual als Schlosser- und Schweißarbeiten bezeichnet. Sie verschweiße bereits verlegte Schienen im SK-Verfahren oder im E-Verfahren (vgl. Schreiben der Beklagten vom 07. Februar 2011, Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 05. Dezember 2012, Bl. 104 ff. d.A.). Sie gehört seit ihrer Gründung der Berufsgenossenschaft Maschinenbau und Metall an.

Auf der Grundlage der in den Jahren 2006 bis 2011 geltenden und für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) hat der Kläger gegen die Beklagte bei dem Arbeitsgericht Wiesbaden Mahnbescheide beantragt, mit denen er Mindestbeiträge wegen der Beschäftigung von einem gewerblichen Arbeitnehmer forderte, und welche nach Widerspruch der Beklagten in das streitige Verfahren übergeleitet wurden. Das Arbeitsgericht hat diese Verfahren

- 7 Ba 6357/11 - 7 Ca 347/12, Eingang des Mahnbescheids im Dezember 2011, Zeitspanne Dezember 2006 bis Juni 2011, 31.858,00 €,

- 7 Ba 707/12 - 7 Ca 671/12, Eingang des Mahnbescheids im April 2012, Zeitspanne Juli 2011 bis Oktober 2011, 2.336,00 € und

- 7 Ba 1404/12 - 7 Ca 1482/12, Eingang des Mahnbescheids im August 2012, Zeitspanne November 2011 bis Dezember 2011, 1.168,00 €

zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Der Kläger hat die Auff...

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