Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratsanhörung. Entlastende Umstände
Leitsatz (amtlich)
Hört der Arbeitgeber den Betriebsrat zu einem komplexen Kündigungssachverhalt unter Vorlage umfangreicher schriftlicher Unterlagen einschließlich einer mehrseitigen Abmahnung mit zahlreichen detailliert geschilderten Schlechtleistungen schriftlich an, so kann diese Anhörung dann nicht ordnungsgemäß sein, wenn eine ausführliche schriftliche Stellungnahme des betroffenen Arbeitnehmers zu der Abmahnung dem Betriebsrat nicht vorgelegt wird.
Normenkette
BetrVG § 102
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 17.10.1994; Aktenzeichen 14 Ca 2534/93) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 17. Okt. 1994 – 14 Ca 2534/93 – wird insoweit zurückgewiesen, als sie sich gegen die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung der Beklagten vom 29. März 1993 richtet.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte und die Feststellung der Unwirksamkeit einer fristgemäßen Kündigung der Beklagten.
Die 1941 in Rußland geborene Klägerin wurde aufgrund eines schriftlichen Anstellungsvertrages vom 30. November 1979 (Bl. 5 – 8 d. A.) ab 01.12.1979 als Ärztin in der Pharmaforschung der …, die inzwischen von der Beklagten übernommen wurde, eingestellt. Sie war zunächst in der medizinischen Abteilung mit Probandenuntersuchungen im Rahmen der Entwicklungsprojekte (Phase 1) beschäftigt. Da die … zum Ende 1990 diese Tätigkeit einstellte, wurde die Klägerin ab 01.01.1990 in einer der Arzneimittelsicherheit (AMS) dienenden Arbeitsgruppe mit der Erfassung, Dokumentation und Bewertung von Arzneimittelnebenwirkungen zur Vorbereitung der Zulassung neu entwickelter Pharmazeutika auf den nationalen und den internationalen Märkten eingesetzt. Ihre unmittelbare Vorgesetzte war die 35-jährige promovierte Biologin, die Zeugin … Wesentliche Aufgabe der Klägerin war es, nach Maßgabe von sogenannten Standard Operation Procedures (SOP) und unter Berücksichtigung weiterer einschlägiger Vorschriften die in Patientenblättern erhobenen Daten (Beispiele Bl. 356 u. 357 d. A.) in eine Datenbank einzugeben. Sinn der Tätigkeit der Klägerin war es, sogenannte Adverse Events (AE) bei der Erprobung neu zu entwickelnder Medikamente an Patienten festzuhalten und aus medizinischer Sicht den etwaigen Zusammenhang solcher AE mit der Verabreichung der Testsubstanz zu kommentieren (Beispiele in Anlage 8 und Anlage 11 der Beiakte). Bezüglich des Ablaufes klinischer Arzneimittelprüfungen und der dabei zu beachtenden Vorschriften wird auf S. 3 – 8 (Bl. 24 – 29 d. A.) des Beklagtenschriftsatzes vom 26. Juli 1993 Bezug genommen. Am 31.05.1992 richtete die Zeugin … ein Schreiben an die Klägerin, in dem sie verschiedene Verfehlungen der Klägerin bei ihrer Arbeitsleistung rügte (Bl. 353 – 354 d. A.). Zu diesem Schreiben nahm die Klägerin schriftlich am 04.06.1992 – fälschlich unter dem Datum des 04.05.1992 – im einzelnen Stellung (Bl. 99 – 101 d. A.). Am 05.06.1992 (Bl. 9 u. 10 d. A.) richtete die … ein Schreiben an die Klägerin, mit der sie das Arbeitsverhalten der Klägerin rügte und ankündigte, im Wiederholungsfall arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung zu ziehen. Mit Schreiben vom 17.03.1993 hörte die … den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu einer beabsichtigten fristgemäßen verhaltensbedingten Kündigung der Klägerin zum 31.12.1993 an. Dem Anhörungsschreiben war beigefügt eine Kopie des Schreibens der Zeugin … vom 31.05.1992, Kopie des Abmahnungsschreibens der Firma … vom 05.06.1992, Kopie von zwei der genannten Patientenblätter, zwei Kopien von Ausdrucken der von der Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit eingegebenen Daten in die genannte Datenbank, eines zeitlich vor und eines zeitlich nach dem Schreiben der … vom 05.06.1992 sowie schließlich ein Schreiben der Zeugin … an die Personalabteilung der … vom 12.03.1993. Wegen des Inhaltes der genannten Unterlagen im einzelnen wird auf Bl. 352 – 363 der Akte ergänzend Bezug genommen. Nachdem die Zeugen … und … in der wöchentlichen Sitzung der Personalkommission des bei der … gebildeten Betriebsrates vom 16.03.1993 mundlich über die beabsichtigte Kündigung der Klägerin berichtet hatten, händigte der Zeuge … am 17.03.1993 die genannten Anhörungsunterlagen (Bl. 352 bis 363 d. A.) dem Betriebsratsvorsitzenden, dem Zeugen …, aus. In den folgenden Tagen bis zum 29.03.1993 kam es zu mehreren Gesprächen zwischen dem seinerzeitigen Personalleiter der Firma …, dem Zeugen … und dem Betriebsratsvorsitzenden …, u. a. auch wegen der beabsichtigten Kündigung der Klägerin. Bei einem dieser Gespräche erhielt der Zeuge … Einblick in das Schreiben der Klägerin vom 04.06.1992 (Bl. 99 – 101 d. A.), mit dem diese auf das Schreiben der Zeugin … vom 31.05.1992 erwidert hatte. Nachdem die Firma … die Anhörungsfrist für den bei ihr gebildeten Betriebsrat bis zum 2...