Entscheidungsstichwort (Thema)
Umdeutung. Betriebsvereinbarung. Ausforschungsbeweis und Verwertung
Leitsatz (amtlich)
1) Ebenso wie bei einer gem. § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksamen Betriebsvereinbarung ist bei einer gem. § 77 Abs. 2 BetrVG formnichtigen Betriebsvereinbarung die Umdeutung in eine einzelvertragliche Zusage in entsprechender Anwendung des § 140 BGB in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig.
2) Auch im Falle eines prozessual unzulässigen, aber erstinstanzlich durchgeführten Ausforschungsbeweises ist das Berufungsgericht im Rahmen des § 529 ZPO an die Tatsachenfeststellung des Arbeitsgerichts gebunden, da die Voraussetzungen für ein Beweisverwertungsverbot nicht vorliegen.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 2; BGB § 140; ZPO §§ 284, 513, 529
Verfahrensgang
ArbG Wetzlar (Urteil vom 26.10.2010; Aktenzeichen 1 Ca 497/09) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts A vom 26. Oktober 2010 – 1 Ca 497/09 – wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Anspruch der Klägerin auf ein Jubiläumsgeld.
Die Klägerin trat im Juni 1984 in den inzwischen von der Beklagten geführten Betrieb in A ein, der seitdem mehrfach seinen Eigentümer wechselte. Über längere Zeit gehörte der Betrieb zum B-Konzern, danach zum C-Konzern. Zwischen den Parteien ist streitig, ob und wenn ja auf welcher Rechtsgrundlage während dieser Zeit Jubiläumsgelder gezahlt wurden und ob eine etwaige Verpflichtung der Rechtsvorgänger auf die Beklagte übergegangen ist.
Mit ihrer der Beklagten am 01. Oktober 2009 zugestellten Klage vom 15. September 2009 macht die Klägerin ihren Anspruch auf Zahlung eines Jubiläumsgeldes in Höhe von 3.500,00 EUR geltend, nachdem eine vorherige Zahlungsaufforderung erfolglos blieb.
Wegen des zu Grunde liegenden Sachverhalts im Übrigen, insbesondere wegen der zahlreichen Betriebsübergänge und Umfirmierungen der Arbeitgeberin und der verschiedenen Betriebsvereinbarungen nebst Anlagen sowie des Vorbringens der Parteien und ihrer Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 140 – 145 d.A.) verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat gemäß Beschluss vom 26. Oktober 2010 Beweis erhoben „über die Behauptung der Klägerin, die von ihr in dem Prozessverfahren behauptete Regelung über die Zahlung von Jubiläumsgeldern sei sowohl von der B D AG, von der B AG sowie von der C Automotive GmbH tatsächlich umgesetzt worden”, durch Vernehmung des Personalleiters E, wegen dessen Aussage auf die Sitzungsniederschrift vom 26. Oktober 2010 (Bl. 136R d.A.) verwiesen wird. Sodann hat es die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 3.500,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24. Juli 2009 verurteilt und dies damit begründet, dass die Klägerin zwar eine wirksame Gesamtbetriebsvereinbarung, aus der der Jubiläumsgeldanspruch folgt, nicht dargelegt habe, weil die Gesamtbetriebsvereinbarung vom 29. August 2007 (Bl. 19f d.A.) nicht dem Schriftformerfordernis entspreche. Die Klägerin könne das Jubiläumsgeld aber gleichwohl beanspruchen, weil ihr dieses auf Grund einzelvertraglicher, auf die Beklagte übergegangener Regelung zustehe. Im vorliegenden Fall sei die unwirksame Betriebsvereinbarung analog § 140 BGB auf Grund des besonderen Verpflichtungswillens des Arbeitgebers, der über die Erklärung, eine Betriebsvereinbarung abschließen zu wollen, erkennbar hinausging, zum Inhalt des Einzelvertrags geworden. Aus der glaubhaften Aussage des Zeugen Veit folge, dass bei B D AG im Betrieb A seit der Betriebsübernahme von F Jubiläumsgelder nach den gleichen Richtlinien wie bei der Konzernmutter gezahlt wurden. Die von der Klägerin im Verfahren vorgelegten Betriebsvereinbarungen seien geschlossen worden, weil sich bei den Regelungen Änderungen ergeben hätten, bei denen der Betriebsrat zu beteiligen war.
Ein über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung hinausgehender Verpflichtungswille ergebe sich gerade daraus, dass der Verpflichtungstatbestand schon vor dem Abschluss der hier vorgelegten Betriebsvereinbarungen vorhanden war, der Anspruch also nicht erst durch die Betriebsvereinbarung erzeugt, sondern bereits vorher bestanden habe. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob es sich um eine Gesamtzusage oder eine betriebliche Übung gehandelt habe, da sich aus der ausgeübten Regelung der Wille ergeben habe, den Arbeitnehmern die entsprechenden Leistungen zukommen zu lassen, ohne dass ein Freiwilligkeits- oder Widerrufsvorbehalt erklärt wurde.
Dieser gegenüber der B D AG entstandene individualrechtliche Anspruch der Klägerin sei bei allen folgenden Betriebsübergängen jeweils auch auf die jeweiligen Erwerber und mithin auch auf die Beklagte übergegangen.
Gegen dieses Urteil vom 26. Oktober 2010, auf dessen Inhalt zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung der Beklagten.
Die Beklagte moniert zunächst, dass das Arbeitsgericht Beweis erhoben hat. Sie äußert die Auffassung, der Beweisantritt der...