Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn der Frist für die Geltendmachung von Ansprüchen nach dem AGG bei Ablehnung einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs
Leitsatz (amtlich)
Nach § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG beginnt die Frist im Fall einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit Zugang der Ablehnung. § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG ist im Falle einer Bewerbung oder eines angestrebten beruflichen Aufstiegs unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass die Ausschlussfrist mit dem Zeitpunkt beginnt, zu dem dem Beschäftigten die Ablehnung zugegangen ist und er zusätzlich Kenntnis von der Benachteiligung erlangt hat. Der Zeitpunkt des Zugangs der Ablehnung stellt damit den frühestmöglichen Zeitpunkt des Fristbeginns dar. Dieser einschränkenden Auslegung bedarf es jedoch nur, wenn die Ablehnung nicht selbst bereits genügt, Kenntnis von der Benachteiligung zu vermitteln. Einer tatsächlichen Kenntnisnahme des Ablehnungsschreibens bedarf es nicht. Der Zeitpunkt des Zugangs der Ablehnung bestimmt sich nach § 130 Abs. 1 BGB. Nicht erforderlich ist für den Fall des Zugangs - anders als für den Fall der Kenntnisnahme der die Benachteiligung begründenden Umstände - ein Rückgriff auf die Maßstäbe des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Dies folgt daraus, dass der Zugang einer sich im Machtbereich des Empfängers befindlichen Ablehnung nicht von Auskünften und Informationen Dritter abhängig ist. Der Empfänger der Ablehnung hat es vielmehr selbst in der Hand, die von ihm zur Verfügung gestellten Empfangseinrichtungen zu kontrollieren.
Bei der Ablehnung einer Bewerbung handelt es sich zwar um keine Willenserklärung iSd. § 130 BGB, sondern um eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung. Auf rechtsgeschäftsähnliche Handlungen sind die Vorschriften über die Willenserklärung aber entsprechend ihrer Eigenart anzuwenden.
Normenkette
AGG § 15 Abs. 1, 4; BGB § 130 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 11.01.2016; Aktenzeichen 9 Ca 4991/15) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 11. Januar 2016 -9 Ca 4991/15 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um eine Entschädigungszahlung.
Die zu diesem Zeitpunkt 54jährige Klägerin bewarb sich im Wege einer Onlinebewerbung am 4. Mai 2015 bei der Beklagten auf eine Stellenanzeige vom 2. Mai 2015 als Java-Softwareentwicklerin.
In der Stellenanzeige, wegen deren Einzelheiten im Übrigen auf Bl. 6 d. A. verwiesen wird, heißt es auszugsweise wie folgt:
"Ambitionierte Software-Entwickler gesucht!
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Ihr Profil
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...
Ihre Tätigkeit
Sie setzen neue Lösungen um - von der Konzeption bis zur Produktivsetzung. Als Software-Ingenieur bringen Sie aktiv Ihre Kenntnisse und Ideen ein, um gemeinsam im Team innovative und wirtschaftliche Gesamtlösungen zu erarbeiten.
Ihre Projekte sind vielfältig und anspruchsvoll. Sie arbeiten mit Kunden aus unterschiedlichen Branchen zusammen. Dazu gehören unter anderem Onlinedienstleister, Medizintechnik und Finanzdienstleister. Reisen - hauptsächlich innerhalb von Deutschland - sind daher Teil der Tätigkeit. Da Sie direkt und intensiv mit Ihrem Team und Ihren Kunden reden, brauchen Sie sehr gute Sprachkenntnisse in Deutsch und Englisch.
..."
Das Onlinebewerbungsformular (Bl. 8 ff. d. A.) konnte über die Stellenanzeige über das Steuerelement "Jetzt bewerben" geöffnet werden. Es sah mehrere Datenfelder zur Eingabe von persönlichen und die Qualifizierung betreffenden Daten vor. Bei einigen Abfragefeldern handelte es sich um zwingend einzugebende Daten, so ua. beim Vor- und Nachnamen. Ebenfalls waren dort die Sprachkenntnisse der englischen und deutschen Sprache zu bewerten. Hier konnte der Bewerber wählen unter "Keine Angabe", "Grundkenntnisse", "gut", "fließend", "Muttersprache". Freiwillig war die Angabe des Geburtsdatums.
Die Klägerin trug in ihre Bewerbung vom 2. Mai 2015 ihren Vornamen und ihren Nachnamen ein. Ebenfalls trug sie bei den Sprachkenntnissen unter deutsch und englisch "gut" ein. Als weitere Sprache nannte sie im Onlinebewerbungsformular "russisch".
Die Klägerin fügte ihrer Bewerbung mehrere Zeugnisse bei, aus denen sich sowohl ihr Geschlecht, ihr Alter und ihre Herkunft ergaben.
Mit E-Mail vom 13. Mai 2015 (Bl. 11 d. A.), in dem E-Mail-Postfach der Klägerin bei dem Anbieter Gmx eingegangen um 15:19 Uhr, teilte die Beklagte ihr mit, dass ihre Bewerbung nicht zum Zuge komme, da es eine Reihe von Bewerbern gegeben habe, die den Vorstellungen noch besser entsprochen hätten.
Mit ih...