Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsgeld. Urlaubsgeld im Erziehungsurlaub

 

Leitsatz (amtlich)

Einzelfall einer Tarifauslegung dahin, daß ein Urlaubsgeldanspruch nicht „streng akzessorisch” geschuldet wird.

 

Normenkette

TV über Sonderzahlung (Hess. Einzelhandel) § 3

 

Verfahrensgang

ArbG Gießen (Urteil vom 16.07.1997; Aktenzeichen 3 Ca 242/97)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 16.03.1999; Aktenzeichen 9 AZR 315/98)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 16.7.1997 – 3 Ca 242/97 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Für die Beklagte wird die Revision zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Zahlung weiteren Urlaubsentgelts für die Zeit nach dem 01.10.1996.

Der Kläger steht in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten, auf das kraft beiderseitiger Tarifbindung die Regelungen des Manteltarifvertrages für den Groß- und Außenhandel des Landes Hessen (MTV) Anwendung finden. Dessen § 12 Abs. 2 lautet:

Bei der Höhe nach unterschiedlichen Entgelten wird zur Errechnung der während der Urlaubszeit zu zahlenden Bezüge mindestens der Durchschnitt des Entgeltes der letzten 6 Monate vor Urlaubsantritt zugrunde gelegt. Durch Betriebsvereinbarung kann eine längere Berechnungsfrist vereinbart werden. Bei kürzerer Beschäftigungsdauer ist der Durchschnitt während der Tätigkeit maßgebend.

Bei Entgeltserhöhungen, die während des Berechnungszeitraumes oder des Urlaubs eintreten, ist von dem erhöhten Entgelt auszugehen.

Spesen und einmalige Zuwendungen, die kein Arbeitsentgelt sind, bleiben bei der Berechnung der Urlaubsvergütung außer Ansatz.

Bei Berücksichtigung der vom Kläger vor seinem Urlaubsantritt geleisteten Überstunden hätte die Beklagte dem Kläger ein um DM 159,46 brutto höheres Urlaubsentgelt auszahlen müssen, als sie es tatsächlich ausgezahlt hat.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß auch nach dem Inkrafttreten des § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG n.F. zum 01.10.1996 für die Ermittlung der Höhe des ihm zustehenden Urlaubsentgelts die vor Urlaubsantritt geleisteten Überstunden zu berücksichtigen seien. Dies ergebe sich aus der Fortgeltung der von den Tarifvertragsparteien in § 12 Abs. 2 MTV enthaltenen normativen Regelung.

Er hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger DM 159,46 brutto nebst 4% Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, in § 12 MTV sei keine eigenständige konstitutive tarifliche Regelung zur Ermittlung der Höhe des Urlaubsentgelts enthalten.

Mit am 16.07.1997 verkündetem Urteil hat das Arbeitsgericht Gießen – 3 Ca 242/97 – der Klage stattgegeben und die Berufung zugelassen. Es ist der Rechtsauffassung des Klägers gefolgt.

Gegen das ihr am 15.09.1997 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.10.1997 Berufung eingelegt und dieses Rechtsmittel am 05.11.1997 begründet. Sie vertieft ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszug und meint weiterhin, daß die Tarifvertragsparteien mit § 12 MTV keine konstitutive Regelung hinsichtlich der Ermittlung der Höhe des Urlaubsentgelts hätten treffen wollen. Abweichend von § 11 BUrlG sei lediglich der Berechnungszeitraum statt auf 3 auf 6 Monate festgesetzt worden. Ein Normsetzungswille sei darin aber nicht zum Ausdruck gekommen.

Die Beklagte hat den Antrag angekündigt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Gießen vom 16.07.1997 – 3 Ca 242/97 – die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen des vollständigen Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird ergänzend auf die Berufungsbegründung (Bl. 31 – 33 d.A.) sowie auf die Berufungsbeantwortung (Bl. 40 f. d.A.) Bezug genommen.

Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt (Bl. 42 f. d.A.).

 

Entscheidungsgründe

Die gem. § 64 Abs. 2 1. Alternative ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist auch sonst zulässig. Sie ist jedoch unbegründet Die Beklagte ist gem. § 12 Abs. 2 MTV verpflichtet, bei der Ermittlung des Urlaubsentgelts auch die in den letzten 6 Monaten vor Urlaubsantritt für die Leistung von Überstunden verdienten Entgeltbestandteile zu berücksichtigen, woraus sich der der Höhe nach unstreitige vom Kläger geltend gemachte Anspruch ergibt.

§ 12 Abs. 2 MTV enthält eine eigenständige tarifvertragliche Regelung, die von einem Rechtssetzungswillen der Tarifvertragsparteien getragen ist und gem. § 13 Abs. 1 BUrlG auch gegenüber § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG n. F. fortgilt. Dies ergibt sich daraus, daß die Tarifvertragsparteien mit § 12 Abs. 2 MTV eine andere als die in § 11 BUrlG enthaltene Regelung getroffen haben und nicht etwa lediglich den Wortlaut der genannten Vorschrift des Bundesurlaubsgesetzes wiederholt haben. In einem solchen Falle ist auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts von einer eigenständigen. „konstitutiven” Tarifvertragsregelung auszugehen (BAG, Urteil vom 05.10.1995, NZA 1996, S. 325 ff.).

Daß die Tarifvertrag...

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