Entscheidungsstichwort (Thema)

Internationale Zuständigkeit nach dem LuGÜ. Kündigung des Arbeitgebers. Anscheinsvollmacht und Mangel der Schriftform. Geltung von Ausschlussfristen, die einer AGB-Kontrolle nicht standhalten im Verhältnis Arbeitgeber/Arbeitnehmer

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Bestimmungen des Lugano-Übereinkommens sind gegenüber § 38 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorrangig.

2. a) Nach Art. 18 Abs. 1 LugÜ bestimmt sich die Zuständigkeit unbeschadet des Art. 4 und Art. 5 Nr. 5 nach diesem Abschnitt, wenn ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden.

b) Nach Art. 18 Abs. 2 LugÜ wird der Arbeitgeber, mit dem der Arbeitnehmer einen individuellen Arbeitsvertrag geschlossen hat und der im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates keinen Wohnsitz hat, ua. für Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung so behandelt, wie wenn er seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hätte.

3. Eine Kündigung kann wirksam sein, wenn sie im Wege der Anscheinsvollmacht dem Arbeitgeber zugerechnet werden kann.

4. Die Berufung auf einen Formmangel (hier: Kündigung per eMail) kann ausnahmsweise gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn der Arbeitnehmer wegen des vorangegangenen Verhaltens des Anscheinsbevollmächtigten darauf vertrauen durfte, dass die Kündigung trotz des Formmangels gültig sein sollte.

5. Nach § 7 Abs. 4 BUrlG ist der zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehende Urlaubsanspruch abzugelten, wenn er wegen der Beendigung nicht mehr gewährt werden kann.

 

Normenkette

BGB § 611 Abs. 1; BUrlG § 7 Abs. 4; LugÜ Art. 4, 5 Abs. 5, Art. 18 Abs. 1-2; ZPO § 38 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 09.12.2010; Aktenzeichen 11 Ca 2742/10)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 9. Dezember 2010 - 11 Ca 2742/10 - teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 438,46 EUR (in Worten: Vierhundertachtunddreißig und 46/100 Euro) brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. Januar 2010 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 13. November 2009 zum 15. Dezember 2009 beendet wurde.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger dessen Lohnsteuerkarte für das Jahr 2009 herauszugeben sowie eine Bescheinigung über die An- und Abmeldung zur Sozialversicherung zu erteilen.

Im Übrigen werden Klage und Widerklage abgewiesen.

Die erstinstanzlichen Kosten haben zu 20 % der Kläger und zu 80 % die Beklagte zu tragen.

Die Kosten der Berufung haben zu 43 % der Kläger und zu 57 % die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug noch um rückständige Vergütungsansprüche, Tagesspesen, Übernachtungsspesen und Auslöse für den Zeitraum Januar 2009 bis Dezember 2009, Urlaubsabgeltung, die Herausgabe der Lohnsteuerkarte, eine Meldebescheinigung sowie im Wege der Widerklage um Rückzahlungsansprüche und Schadensersatz.

Der Kläger war vom 16. Januar 2009 bis 15. Dezember 2009 bei der Beklagten als Montagearbeiter beschäftigt. Ob das Bruttomonatsgehalt des Klägers € 1.900,00 betragen hat oder ob es einvernehmlich auf € 1.500,00 abgesenkt worden ist, ist zwischen den Parteien umstritten. Bei der Beklagten handelt es sich um eine Aktiengesellschaft Uerischen Rechts, welche ausweislich des Handelsregisterauszuges in A vom 11. Februar 2009 bis zum 25. Februar 2010 eine Zweigniederlassung hatte. Ihr Hauptzweck bestand in der Vermittlung von Dienstleistungen an Bauprojekten, wobei sie selbst als Auftraggeberin auftrat. Im Januar 2009 arbeitete der Kläger für 70 Stunden für die Zentrale in der U, im Übrigen in V. Die Arbeiten der bei der Beklagten beschäftigten Monteure bestanden in der Montage von Glas- und Metallteilen. Der Kläger verfügte bei der W, der Finanzsparte der Uerischen Post, über ein Postscheckkonto, welches in Euro geführt wurde und auf das die Beklagte Überweisungen tätigte.

In dem Arbeitsvertrag der Parteien vom 15. Januar 2009, wegen dessen Einzelheiten im Übrigen auf Bl. 4 ff. d. A. verwiesen wird, ist ua. Folgendes geregelt:

"...

5. Beendigung des Arbeitsverhältnisses:

5.1 Die Kündigung kann von beiden Vertragspartnern zu den gesetzlich festgelegten Fristen erfolgen, kündigungsberechtigt für den AG sind die Geschäftsführung sowie die Mitarbeiter der Personalabteilung.

...

6. Vergütung und Zahlung

...

6.2 Die monatliche Entlohnung erfolgt auf der Basis eines Leistungsgrundlohnes in Höhe von 1.900,00 €

zzgl. ggf. gesondert schriftlich vereinbarter projektbezogenen Akkordaufschläge.

...

6.4 Für die Entlohnung bei Einsätzen außerhalb Vs wird der jeweilige Mindestlohn gezahlt.

6.5 Die Zahlung der Vergütung erfolgt monatlich nachträglich bis spätestens zum 15ten eines jeden Folgemonats durch Überweisung auf eines vom AN z...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge