Entscheidungsstichwort (Thema)

Gepräge baulicher Zusammenhangstätigkeiten bei Feststellung eines tariflichen Baubetriebs. Einbau von Treppen als bauliche Tätigkeit. Relevanz von untergeordneten baulichen Tätigkeiten. Ablösewirkung des alten Tarifvertrags für das Baugewerbe (bis 31. Dezember 2018)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für den Begriff der baulichen Zusammenhangstätigkeiten ist es weder erforderlich, dass die Vor-, Nach- und Nebenarbeiten in einem arbeitszeitlich geringeren Umfang angefallen sind als die bauliche „Haupttätigkeit“, noch dass sie durch geringer qualifizierte Arbeitnehmer erbracht worden sind. Entscheidend ist vielmehr eine wertende Betrachtung, welche Tätigkeiten dem Betrieb das „Gepräge“ geben.

2. Nach diesen Grundsätzen ist ein Betrieb, dessen Zweck auf den Einbau von Treppen ausgerichtet ist, auch dann ein baulicher Betrieb, wenn nach seinen Angaben die überwiegende Arbeitszeit auf erfolglose Akquise entfallen ist.

3. Die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes haben in § 31 Abs. 1 VTV vom 28. September 2018 im Rahmen des sog. Ablöseprinzips vorgesehen, dass der neue Tarifvertrag ab dem 1. Januar 2019 gelten soll. Damit war keine rückwirkende Aufhebung des VTV vom 3. Mai 2013 für vergangene Zeiträume verbunden.

 

Normenkette

VTV § 15 Fassung: 2013-05-03, § 18 Fassung: 2013-05-03; SokaSiG § 7 Abs. 1-2; TVG § 5 Abs. 4; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 09.07.2020; Aktenzeichen 4 Ca 78/20 SK)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 9. Juli 2020 – 4 Ca 78/20 SK – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um eine Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Beiträgen zu dem Sozialkassenverfahren im Baugewerbe.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Auf der Grundlage des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV), der in der Vergangenheit regelmäßig für allgemeinverbindlich erklärt worden ist, i.V.m. dem Sozialkassenverfahrenssicherungsgesetz (SokaSiG) nimmt er die Beklagte auf Zahlung von Beiträgen in Höhe von 172.539 Euro in Anspruch. Dabei handelt es sich um Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer in dem Zeitraum Dezember 2015 März bis Dezember 2016. Der Kläger berechnete seine Beitragsforderung für die gewerblichen Arbeitnehmer auf der Grundlage statistischer Durchschnittslöhne und legte dabei zu Grunde, dass pro Monat mindestens 19 gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigt waren.

In dem Betrieb der Beklagten wurden Holztreppen vormontiert und anschließend bei den jeweiligen Kunden montiert. Treppenstufen, Sprossen und Geländerteile wurden fertig angeliefert und durch eigene Arbeitnehmer zusammengesteckt. Ferner mussten Handlaufelemente und Absturzsicherungen angebracht bzw. vormontiert werden. Im Gewerberegister ist der Betrieb mit der Tätigkeit „Montage von Holztreppen, Montage von Fertigteilen“ angemeldet (Bl. 25 der Akte).

Im Betrieb wurde sog. Stützpunktleiter beschäftigt, die vor allen Dingen für die Kaltakquise und die Beratung eingesetzt wurden. Hierbei handelt es sich um einen Schreinermeister und drei Schreinergesellen.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass der Betrieb verpflichtet sei, am Sozialkassenverfahren teilzunehmen. Wegen der streitigen Parteibehauptungen beider Seiten in der ersten Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils der ersten Instanz nach § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 172.539 Euro zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat mit Urteil vom 9. Juli 2020 der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe schlüssig behauptet, dass im Betrieb überwiegend baugewerbliche Tätigkeiten angefallen seien. Das Bestreiten der Beklagten sei hingegen nicht erheblich. Von einer Zusammenhangstätigkeit sei auch dann auszugehen, wenn eine Akquisetätigkeit i.E. erfolglos geblieben ist. Der Betrieb sei auch nicht nach § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 11 VTV aus dem Anwendungsbereich des VTV ausgenommen. Die Beklagte habe nicht hinreichend dargetan, einen Industriebetrieb unterhalten zu haben. Schließlich bestünden auch keine Zweifel daran, dass der VTV vom 24. November 2015 durch den anschließenden Tarifvertrag vom 28. September 2018 mit einer Rückwirkung nicht außer Kraft gesetzt worden sei. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Urteils der ersten Instanz wird Bezug genommen auf Bl. 29 - 36 der Akte.

Dieses Urteil ist der Beklagten am 8. August 2020 zugestellt worden. Die Berufungsschrift ist am 31. August 2020 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangen. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22. Oktober 2020 ist die Berufungsbegründung am 19. Oktober 2020 beim Berufungsgericht eingegangen.

In der Berufungsbegründung vertritt die Beklagte die Ansicht, dass das Arbeitsgericht der Klage zu Unrecht stattgegeben habe. Vor dem Hintergrund...

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