Entscheidungsstichwort (Thema)

Berechnung des Urlaubskassenbeitrags im Baugewerbe bei Zahlung von Schwarzlohn

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Berechnung des Urlaubskassenbeitrags ist die vom Bauarbeitgeber geschuldete und nicht die von ihm tatsächlich gezahlte Bruttolohnsumme maßgebend.

2. Hat der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer "schwarz" bezahlt, kann nicht unterstellt werden, dass er tatsächlich auch Sozialversicherungsbeiträge entrichten wollte. Damit scheidet eine Hochrechnung des Nettolohns auf einen Bruttolohn aus, bei der eine echte Nettolohnvereinbarung unterstellt würde.

3. Eine Schätzung darf nicht zu einer über dem Mindestlohn liegenden Vergütung führen, da ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber eine solche Vergütung ohne ausdrückliche Vereinbarung nicht schuldet.

4. Eine Sanktionierung von illegal handelnden Arbeitgebern bei der Beitragsberechnung durch eine nachträgliche Schätzung von Bruttolöhnen, die den Mindestlohn überschreiten, wird weder durch den allgemeinverbindlichen Tarifvertrag über das Sozialklassenverfahren im Baugewerbe (VTV-Bau) in den für die Jahre 2008 bis 2010 maßgeblichen Fassungen noch durch die Rechtsprechung zur Beitragsschätzung gemäß § 287 Abs 2 ZPO gedeckt.

 

Normenkette

AEntG §§ 3, 4 Nr. 1, § 5 Nr. 1; SGB IV § 14 Abs. 2 S. 2; ZPO § 287 Abs. 2; VTV-Bau § 18

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 27.06.2013; Aktenzeichen 4 Ca 2084/12)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 22.06.2016; Aktenzeichen 10 AZR 806/14)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 27. Juni 2013 - 4 Ca 2084/12 - wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die klagende Urlaubskasse begehrt im Berufungsverfahren die Verurteilung des beklagten Arbeitgebers zu einer höheren Zahlung von Sozialkassenbeiträgen aus Schwarzarbeit als nach dem angegriffenen Urteil der ersten Instanz. Dies ist von der Anwendbarkeit des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf eine Beitragsschätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO abhängig.

Der Beklagte war in beiden Instanzen säumig.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien der Bauwirtschaft in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Nach näherer tariflicher Maßgabe zieht er die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes ein.

Der Beklagte betrieb in den Jahren 2008 bis 2010 einen Platten-, Fliesen- und Mosaikverlegebetrieb. Er beschäftigte in den genannten Jahren gewerbliche Arbeitnehmer und nahm an dem Sozialkassenverfahren teil.

Das zuständige Hauptzollamt führte eine Überprüfung des Betriebs des Beklagten durch. Es wurden dabei Rechnungen und Rechnungsbeträge bekannt. Infolgedessen bestand der Verdacht von Vergehen nach den §§ 263 und 266a StGB. Der Beklagte wurde am 16. Oktober 2012 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Auf der Grundlage des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) in den für die Jahre 2008 bis 2010 maßgeblichen Fassungen hat der Kläger eine Beitragsnachforderung für den Zeitraum Mai 2008 bis Oktober 2008, Januar 2009, April 2009, Juni 2009 bis August 2009, März 2010 bis Juni 2010, August 2010, November 2010 sowie Dezember 2010 begehrt. Er verlangte eine Summe von insgesamt 51.064,10 €. Dabei berechnete er die Nachforderung in der Weise, dass er von festgestellten Nettoumsätzen mit einem Umrechnungsfaktor von 66,67% auf den tatsächlich angefallenen Lohn schloss. Die so erhaltenen Lohnsummen rechnete er monatlich mit einem bestimmten Umrechnungsfaktor, der ihm von der Deutschen Rentenversicherung mitgeteilt wurde, auf fiktive Bruttolöhne hoch. Dieser Umrechnungsfaktor setzt voraus, dass § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV anwendbar ist. Aus dem fiktiven Bruttolohn ermittelte er nach dem jeweiligen Prozentsatz gem. § 18 VTV den noch ausstehenden Sozialkassenbeitrag. Wegen der weiteren Einzelheiten der Berechnung der Klageforderung wird Bezug genommen auf die Berechnungsaufstellung in der Anlage zur Klageschrift (Bl. 5 d.A.).

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der Beklagte schulde ihm noch einen Betrag von 51.064,10 €. Aufgrund der Ermittlungen des Hauptzollamts und der Verurteilung des Beklagten im Strafprozess stehe fest, dass der Beklagte nicht sämtliche Bruttolohnsummen an ihn gemeldet habe. Eigenleistungen des Beklagten seien nicht in Abzug zu bringen.

Der Kläger hat in dem Termin vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden vom 27. Juni 2013, an welchem für den Beklagten niemand erschien (Sitzungsniederschrift Bl. 10 d.A.), beantragt,

den Beklagten im Wege des Versäumnisurteils zu verurteilen, an ihn 51.064,10 € zu zahlen.

Das Arbeitsgericht Wiesbaden entschied durch ein Teilversäumnis- und Schlussurteil. Es verurteilte den Beklagten, an den Kläger 33.846,11 € zu zahlen. Dieser Teil der Entscheidung vom 27. Juni 2013 ist rechtskräftig geworden. Im Übrigen wies das Arbeitsgericht die weitergehenden Ansprüche des Klägers in Höhe von 17.217,89 € ab. Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat dem Kläger Beiträge gem. § 18 VTV nu...

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