Entscheidungsstichwort (Thema)
Beiträge für die Berufsausbildung und die Zusatzversorgung im Rahmen des Sozialkassenverfahrens im Baugewerbe. Bestimmung des gewöhnlichen Arbeitsortes der entsandten Arbeitnehmer
Leitsatz (redaktionell)
1. Die kraft der Allgemeinverbindlichkeit des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe nach § 5 Abs. 4 TVG in Deutschland geltenden Tarifnormen sind einseitig zwingende Normen i.S.d. Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO.
2. Eine Gesamtheit i.S.v. § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 S. 3 des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe ist eine Gruppe von Arbeitnehmern, die koordiniert, das heißt geführt und geleitet, arbeitszeitlich überwiegend außerhalb der stationären Betriebsstätte baugewerbliche Arbeiten ausführt.
Normenkette
VTV § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 S. 3, § 15 Abs. 2; AEntG § 8 Abs. 1, § 5 Nr. 3; Rom I-VO Art. 8 Abs. 1 S. 2; BGB § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 23.11.2023; Aktenzeichen 5 Ca 675/22 SK) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 23. November 2023 - 5 Ca 675122 SK - teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Frage, ob die Klägerin im Jahre 2019 verpflichtet war, an den Beklagten im Rahmen des Sozialkassenverfahrens im Baugewerbe Beiträge für die Berufsausbildung und die Zusatzversorgung zu zahlen.
Der Beklagte ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Auf der Grundlage des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) zieht er den Sozialkassenbeitrag von den Bauarbeitgebern ein. Dieser betrug im Kalenderjahr 2019 gemäß § 15 Abs. 2 VTV für die alten Bundesländer 20,8 % der Bruttolöhne. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus dem Beitrag für eine zusätzliche Altersversorgung (3 %), für das Berufsbildungsverfahren (2,4 %) und für das Urlaubskassenverfahren (15,4 %). Nach § 8 Abs. 1 i.V.m. § 5 Nr. 3 AEntG ist ein Bauarbeitgeber, gleich ob mit Sitz im In- oder Ausland, verpflichtet, Beiträge zu dem Urlaubskassenverfahren unabhängig von dem Arbeitsvertragsrecht der in Deutschland tätigen oder nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer zu zahlen.
Die Klägerin ist eine Baugesellschaft mit beschränkter Haftung, sociedade por quotas oder sociedade limitada, Lda, mit Sitz in der xxxx 1. Sie führte 2019 auf Baustellen in den westdeutschen Ländern der Bundesrepublik Deutschland als Nachunternehmerin Schalungsarbeiten mit Eingabe des Betons und andere Rohbauarbeiten aus.
Die Klägerin hat 2019 neue Mitarbeiter im Schwerpunkt durch Online-Recruiting bzw. Personalbeschaffung im Internet rekrutiert. Auch auf Ihrer Facebook-Seite hat sie auf Bauprojekte in Deutschland hingewiesen. Die Bewerbungsgespräche wurden in den beiden Büros der Klägerin in A und B geführt. Konnte der Bewerber von seinen fachlichen und persönlichen Kompetenzen überzeugen, wurde über die wesentlichen Vertragsinhalte Einigkeit erzielt. Es wurden die Vertragsformulare Contrato de Trabalho a Termo Incerto (Arbeitsvertrag) sowie eine Einsatzvereinbarung für Arbeiten im Ausland, Acordo de Deslocagäo Temporâria de Trabalhador - Contrato a Termo Incerto, ausgefüllt und dem Bewerber zur Prüfung und Unterschrift vorgelegt. Bis auf die beiden Mitarbeiter C und D wurden alle in Deutschland eingesetzten Mitarbeiter mit den Formulararbeitsverträgen und der Einsatzvereinbarung für Arbeiten im Ausland eingestellt.
Die Arbeitsverträge trugen zwar die Überschrift "Unbefristeter Arbeitsvertrag", sahen aber unter Ziff. 2 eine Zweckbefristung für den Fall vor, dass der Bedarf für die Beschäftigung auf der jeweiligen Baustelle in Deutschland beendet war. Hinsichtlich des verwendeten Musterarbeitsvertrags in deutscher Übersetzung wird verwiesen auf BI. 33 ff. der Akte erster Instanz (= Vorakte). In der befristeten Entsendungsvereinbarung, die daneben abgeschlossen wurde, war unter Ziff. 2 Abs. 1 ebenfalls eine Projektbefristung geregelt. In Ziff. 10 der Vereinbarung war vorgesehen, dass mit Ende der Entsendung der Arbeitnehmer nach Portugal zurückkehrt und die vereinbarte Erwerbstätigkeit an dem vom Arbeitgeber angegebenen Arbeitsplatz wiederaufnimmt. Hinsichtlich der verwendeten Teilzeitentsendungsvereinbarung in deutscher Übersetzung wird verwiesen auf Bl. 52 ff. der Vorakte.
Eine ausdrückliche Rechtswahl ist in den zugrundeliegenden Verträgen nicht enthalten.
Die Klägerin meldete am 13. März 2019 in E unter der Adresse xxxx 2, ein Büro als unselbständige Zweigstelle ihres Unternehmens an. Über diese Gewerbeanmeldung waren die Arbeitnehmer auch bei der Berufsgenossenschaft Bau versichert. Hinsichtlich der von der Berufsgenossenschaft erteilten Unbedenklichkeitsbescheinigung vom 3. Dezember 2019 wird verwiesen auf BI....