Entscheidungsstichwort (Thema)
Mittelbare Altersdiskriminierung durch Deckelung der Sozialplanabfindung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Deckelung der Grundabfindung auf 230.000,00 Euro im Sozialplan kann dazu führen, dass nicht alle Jahre der Betriebszugehörigkeit berücksichtigt werden. 2. Es liegt insoweit keine unzulässige mittelbare Altersdiskriminierung vor, sondern eine vom Ziel des Sozialplans und dem Gestaltungsermessen der Betriebsparteien gedeckte Regelung zur Verteilung des Sozialplanvolumens.
Normenkette
BetrVG § 75 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Darmstadt (Entscheidung vom 08.07.2020; Aktenzeichen 1 Ca 21/20) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 8. Juli 2020 - 1 Ca 21/20 - wird zurückgewiesen; das Urteil wird klarstellend wie folgt neu gefasst:
Die Widerklage des Beklagten wird abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte. Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen Klägerin und der Beklagte je zur Hälfte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Höhe einer Sozialplanabfindung. Der Beklagte rügt, die Deckelung der Sozialplanabfindung sei altersdiskriminierend.
Die Klägerin, die mittlerweile ihren Sitz in A hat, ist eine IT-Dienstleisterin für die Telekommunikationsbranche. Sie unterhielt bis 28. Februar 2019 einen Betrieb in B mit 60 Arbeitnehmer:innen, der stillgelegt wurde. Im Betrieb war ein Betriebsrat gebildet, dessen Vorsitzender der Beklagte war.
Der 19XX geborene Beklagte, der zwei unterhaltsberechtigte Kinder hat, war von 1. September 1994 bis 31. Juli 2019 Arbeitnehmer der Klägerin. Er verdiente zuletzt 7.795,49 € brutto monatlich. Seine Lebensgefährtin war ebenfalls bei der Klägerin beschäftigt.
Wegen der geplanten Stilllegung des Betriebs in B wurden von der Klägerin seit August 2018 mit dem Betriebsrat Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan geführt. Es kam zur Einsetzung einer Einigungsstelle, welche am 18. Dezember 2018 das Scheitern der Interessenausgleichsverhandlungen feststellte. Ein Sozialplan kam durch Spruch der Einigungsstelle vom 4. Januar 2019 zustande. Zur Wiedergabe des Protokolls der Sitzung der Einigungsstelle vom 4. Januar 2019 wird auf die zur Akte gereichte Kopie verwiesen (Anlage K2 zur Klageschrift, Bl. 56 f. d.A.).
Der Sozialplan (folgend: SP), wegen dessen Inhalt auf die Anlage K1 zur Klageschrift Bezug genommen wird (Bl. 47-55 d.A.), hatte ein Volumen von 10,8 Mio. €. Hervorzuheben sind auszugsweise folgende Regelungen des SP:
"§ 2 Ausgleichsleistungen
Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer im Sinne des § 1 (1), erhalten für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung, deren Höhe sich wie folgt errechnet:
1. Grundabfindung
Die Grundabfindung errechnet sich wie folgt:
Bruttomonatsentgelt x Betriebszugehörigkeit x 1,45 = Abfindung brutto.
1.1 Zur Berechnung des Bruttomonatsentgelts wird das vertraglich vereinbarte Jahresbruttoeinkommen des Kalenderjahres 2018 (Stand Dezember 2018, einschließlich des 13. und 14. Monatsgehalts; ohne Rufbereitschaft und Überstunden) geteilt durch zwölf herangezogen.
(...)
2. Zusatzbetrag für unterhaltsberechtigte Kinder
Für jedes zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf der eigenen Lohnsteuerkarte bzw. in den elektronischen Lohnsteuermerkmalen (ELSTAM) eingetragene oder ansonsten in geeigneter Weise nachgewiesene Kind, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und welchem der Arbeitnehmer zu Unterhalt verpflichtet ist, wird ein Zusatzbeitrag in Höhe von 2.500,- € (...) brutto gezahlt. (...)
3. Zusatzbetrag für schwerbehinderte Arbeitnehmer
Arbeitnehmer, bei denen zum Zeitpunkt der Kündigung bzw. des Abschlusses des Aufhebungsvertrages mindestens einen GdB von 50 im Sinne des SGB IX festgestellt ist, sowie Gleichgestellte erhalten einen Zusatzbeitrag von 2.500,- € (...) brutto. (...)
(...)
5. Abfindungsobergrenzen
Der Gesamtbetrag der Grundabfindung gem. § 2 (1) eines Arbeitnehmers ist auf folgende Abfindungsobergrenzen begrenzt, die unabhängig voneinander zu ermitteln sind und von denen die niedrigste Abfindungsobergrenze maßgeblich ist:
5.1 Die Höhe der Grundabfindung gem. § 2 (1) ist auf einen Betrag von 230.000 € brutto (Abfindungsobergrenze) begrenzt. Darüber hinausgehende, sich rechnerisch ergebende Beträge werden gekappt.
5.2 Die Höhe der Grundabfindung gem. § 2 (1) ist auf die Summe der Bruttomonatsentgelte begrenzt, die zwischen dem Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem Zeitpunkt liegen, ab dem der Arbeitnehmer einen Anspruch auf abschlagsfreie gesetzliche Altersrente oder auf Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung (eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen nach §§ 37, 236a SGB VI bleibt unberücksichtigt) und oder eine mit ihr vergleichbare Leistung (z.B. Leistung einer Versorgungseinrichtung) hat. Die Berechnung des Bruttomonatsentgelts erfolgt nach § 2 (1.1). ...