Entscheidungsstichwort (Thema)

Geltungsbereich der Tarifverträge im Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk für Restaurationsarbeiten an Steinwerken. Abgrenzung zwischen handwerklichem Betrieb und Betrieb für Dienstleistungen höherer Art mit erforderlichem Hochschul-/Fachhochschulanschluss. Indizien für Restaurationsarbeiten höherer Art. Zuständigkeit der IG Bau-Agrar-Umwelt für das Steinmetzhandwerk

 

Leitsatz (amtlich)

1. Restaurationsarbeiten an Steinwerken unterfallen grundsätzlich § 1 Ziff. 2.1 des Tarifvertrags über das Verfahren für die Zusatzversorgung und die Berufsbildung im Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk.

2. Der betriebliche Geltungsbereich ist indes nicht eröffnet, wenn der Betrieb nicht handwerklich und damit nicht gewerblich tätig geworden ist. Vom Gewerbebegriff ausgenommen sind Betriebe, die Dienstleistungen höherer Art erbringen. Es kommt darauf an, ob für den ausgeübten Beruf ein abgeschlossenes Hochschulstudium- oder Fachhochschulstudium objektiv erforderlich ist. Ein Studium an einer FH/TH ist damit kein hinreichendes Kriterium für die Annahme einer Tätigkeit höherer Art, ihm kann aber eine Indizwirkung zukommen.

3. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung kann es gegen eine gewerbliche Tätigkeit sprechen, wenn der Restaurator vornehmlich an Kunstobjekten im engeren Sinne wie Skulpturen, Briefbeschwerer etc., bei denen der kunsthistorische Hintergrund bedeutsam ist, gearbeitet hat, eigene naturwissenschaftliche Untersuchungen angestellt, weisungsfrei gearbeitet und nur mit akademisch aus- oder vorgebildeten Personal zusammengearbeitet hat.

4. Vernünftige Zweifel an der Tarifzuständigkeit der IG Bau für das Steinmetzhandwerk bestehen nicht.

 

Normenkette

VTV Steinmetz § 1 Nr. 2.1, § 3 Abs. 3; SokaSiG2 § 19 Abs. 1; ArbGG § 97 Abs. 5

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 15.11.2017; Aktenzeichen 7 Ca 608/16)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 15. November 2017 - 7 Ca 608/16 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Frage, ob der Beklagte zur Erteilung von Auskünften auf der Grundlage des Sozialkassenverfahrens im Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk verpflichtet ist.

Die Klägerin ist die Zusatzversorgungskasse des Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerks mit Sitz in A. Auf der Grundlage des Tarifvertrages über das Verfahren für die Zusatzversorgung und für die Berufsbildung im Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk vom 12. September 1994 (VTV Steinmetz) i.V.m. mit dem Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz 2 (SokaSiG2) zieht sie Beiträge zur Finanzierung des Solidarverfahrens ein. Nach näherer tariflicher Vorgabe hat sie Anspruch auf Auskunft über die im Betrieb angefallenen Bruttolöhne zur Vorbereitung des Beitragsanspruchs.Mit ihrer Klage macht sie Auskünfte geltend für den Zeitraum Januar 2012 bis Dezember 2012, Januar 2013 bis Dezember 2013, Januar 2014 bis Dezember 2014, Januar 2015 bis Oktober 2015 sowie Dezember 2015 und Januar 2016 bis Februar 2016

Der Beklagte hat ein sechsjähriges Studium an der FH B absolviert und ist Diplomrestaurator. Er arbeitet als Restaurator in C und erbringt dort Restaurierungs- und Konservierungsarbeiten an Skulpturen, Denkmälern, Gebäudefassaden, Brunnen etc. Der Betrieb ist nicht in der Handwerksrolle eingetragen. Er ist Mitglied im Verband der Restauratoren (VDR), der seinerseits Mitglied im Bundesverband der Freien Berufe e.V. ist. Das Studium zum Restaurator kann an mindestens neun Hochschulen in Deutschland absolviert werden. Die Dauer des Studiums beträgt mindestens fünf Jahre. Die endgültige Berufsqualifikation ist heute der Master, früher kann auch schon der Bachelor abgelegt werden.

In dem Betrieb arbeiteten im streitgegenständlichen Zeitraum akademisch ausgebildete Restauratoren oder Personen, die zur Vorbereitung eines Studiums oder während des Studiums ein Praktikum machten. Im streitgegenständlichen Zeitraum waren - nicht durchgängig - in Festanstellung der Restaurierungstechniker D (Diplomrestaurator), der Restaurator E (Diplomrestaurator) und die Restauratorin F (Diplomrestaurator) angestellt. Herr G wurde als geringfügig Beschäftigter im Juli und August 2012 auf 400 Euro-Basis beschäftigt (Bl. 181 der Akte). Im Übrigen haben verschiedene Personen bei dem Beklagten ein Praktikum absolviert.

Der Betrieb des Beklagten ist durch das Hauptzollamt (HZA) Erfurt kontrolliert worden.

In dem Betrieb des Beklagten wurden Restaurierungs- und Konservierungsarbeiten erbracht. Diese Arbeiten wurden im Außen- und Innenbereich an Skulpturen und sonstigen Kunstobjekten von Ausstellungen, Denkmälern sowie Fassaden erbracht. Es wurden u.a. Risse, Brüche und Bröckelzerfall des Natursteins beseitigt und Naturstein von Verschmutzungen oder Moos gereinigt. Diese Arbeiten bezogen sich auf die Materialien Sandstein, Marmor, Granit oder Gips. Vor Beginn der Arbeiten waren in der Regel eine Schadensfeststellung, Dokumentation und die Entscheidung, welche Materialien un...

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