Entscheidungsstichwort (Thema)
Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen zum Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft. Klassifizierung der ausgeübten Tätigkeiten als Restaurator
Leitsatz (redaktionell)
1. Restaurationsarbeiten, bei denen an Schlössern und Kirchen Risse in Wänden durch die Injektion eines Mörtelgemischs instandgesetzt werden, fallen unter den betrieblichen Geltungsbereich des § 1 Abs. 2 Abschn. II TVT. Der Gewerbegriff ist insoweit erfüllt. 2. Für den Beginn der tariflichen Ausschlussfrist in § 21 Abs. 1 VTV gilt die Regelung in § 199 BGB. Eine entsprechende Kenntnis setzt voraus, dass die urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft zumindest Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von dem Betrieb hat. Eine allgemeine Marktbeobachtungspflicht besteht nicht.
Normenkette
VTV § 1 Abs. 2 Abschn. II; TVG § 5 Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 27.08.2020; Aktenzeichen 5 Ca 56/20 SK) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgericht Wiesbaden vom 27. August 2020 - 5 Ca 56/20 SK - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Beiträgen zum Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Er ist tarifvertraglich verpflichtet, die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes einzuziehen.
Auf der Grundlage des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV), der in den Kalenderjahren 2015 und 2016 für allgemeinverbindlich erklärt worden ist, hat der Kläger von der Beklagten Zahlung von Sozialkassenbeiträgen in Höhe 45.144 Euro begehrt. Dabei handelt es sich um Beiträge für jeweils drei gewerbliche Arbeitnehmer pro Monat sowie einen Angestellten in dem Zeitraum April 2015 bis Dezember 2016. Bei den gewerblichen Arbeitnehmern hat der Kläger Beiträge im Wege einer sog. Mindestbeitragsklage geltend gemacht und dabei die von dem Statistischen Bundesamt ermittelten Durchschnittslöhne im Baugewerbe zugrunde gelegt. Ursprünglich hat der Kläger seine Ansprüche in drei getrennten Verfahren verfolgt, diese sind mit Beschluss vom 22. Juni 2020 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden. Die Beklagte, die aufgrund des Gesellschaftsvertrags vom 23. März 2015 am 30. März 2015 im Handelsregister des Amtsgerichts Ulm - HRB xxxx - eingetragen worden ist, arbeitete im streitgegenständlichen Zeitraum an denkmalgeschützten, kunsthistorischen Gebäuden, insbesondere Schlössern und Kirchen. Vor Durchführung des eigentlichen Auftrages waren zahlreiche Vorarbeiten, wie eine umfangreiche Bestands- und Zustandserfassung, erforderlich. Häufig wurde unterstützen eine Recherche in Archiven betrieben. Im Anschluss daran wurden Maßnahmekonzepte, ein Leistungsverzeichnis und eine Kostenschätzung dem Auftraggeber vorgelegt. Der Geschäftsführer der Beklagten ist bei dem Landesdenkmalamt A als Restaurator anerkannt; er ist auch Mitglied im Verband der Restauratoren. Im Gewerberegister der Gemeinde B ist der Betrieb seit dem 13. Mai 2015 mit folgenden Tätigkeiten eingetragen: Restaurierung von Gebäuden, insbesondere historischen und denkmalgeschützten Gebäuden, im Innen- und Außenbereich (Bl. 265 der Akte).
Gegenstand der Restaurationsarbeiten waren z.B. die katholische Kapelle C in D. Aufgabe der Beklagten war es gewesen, Sondagen zur Klärung des Putz- und Fassungsbestandes im Innenbereich im Zuge der Sanierung und Umgestaltung der Kapelle anzulegen und eine Pilgerherberge zu errichten. Die Musterflächen des Stuckmarmors mussten gereinigt werden. Von September bis Dezember 2016 hat sie die Gewölbedecke der Pfarrkirche in E in F restauriert. Dabei mussten Risse geglättet werden und Fehlstellen im Putz und Stuck ergänzt werden. Überwiegend kamen dabei Injektionsspritzen zum Einsatz, um die Risse zu schließen. Von Oktober 2016 bis April 2017 restaurierte die Beklagte die nördliche Deckenzone der Gewölbedecke des ersten Dachgeschosses des Schloss G in H. Dabei mussten Putz und Stuck der Gewölbedecken konserviert und restauriert werden. Der Mörtel- und Stuckbestand war in seiner Substanz zu stabilisieren und bei Bedarf zu ergänzen. Von Dezember 2015 bis April 2017 restaurierte die Beklagte auch die Stuckdecken im ersten Obergeschoss in dem Schloss G. Im Kalenderjahr 2015 hat sie die Stuckdecken im Speisesaal des Klostergebäudes des Schlosses H restauriert. Auch hier musste der Putz stabilisiert werden, dabei wurde Füllmaterial durch Spritzen von Injektionsmörtel in die Wand injiziert. Hinsichtlich der zur Akte gereichten arbeitsbegleitenden Dokumentationen wird verwiesen auf Bl. 153 - 261 der Akte.
Zum Einsatz kamen u.a. Werkzeuge wie Kleinstbohrer, Skalpell, Pinsel, Schwämme, Lupen, Spritzen und Bürsten (Bl. 101 - 102 der Akte).
Nach Auffassung der Bundesagentur für Arbeit unterfällt der Betrieb des Herrn I nicht der Winterbauförderung (Bl. 400 der Akte).
In einem Vorverfahren hat der Klä...