Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit einer außerordentlichen aus wichtigem Grund. Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch die Begehung von Diebstahlsdelikten durch den Arbeitnehmer
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Unterschlagung geringwertiger Beträge kann bei einem Busfahrer eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, wenn er zuvor einschlägig abgemahnt worden ist. 2. Der Arbeitgeber darf grundsätzlich mittels sog. "Ehrlichkeitskontrollen" das normale Arbeitsverhalten der Mitarbeiter kontrollieren.
Normenkette
BGB § 626
Verfahrensgang
ArbG Offenbach am Main (Entscheidung vom 17.03.2021; Aktenzeichen 4 Ca 478/20) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach a.M. vom 17. März 2021 - 4 Ca 478/20 - teilweise abgeändert und wie folgt neu erfasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Wesentlichen über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des zwischen ihnen begründeten Arbeitsverhältnisses sowie über die Entfernung mehrerer Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers.
Der am xx.xx.1980 geborene und zu einem Grad von 50 behinderte Kläger ist auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom 17. Juli 2018 seit dem 18. Juli 2018 für die Beklagte als Omnibusfahrer tätig. Hinsichtlich der Einzelheiten des Arbeitsvertrags wird verwiesen auf Bl. 5 - 12 der Akte. Durchschnittlich verdiente er monatlich Euro 2.400,00 brutto.
Mit mehreren Schreiben vom 30. Oktober 2020 (Bl. 16, 17 und 18 der Akte) sprach die Beklagte dem Kläger drei Abmahnungen aus. In der Abmahnung mit der Überschrift "Abmahnung wegen unterschlagenen Fahrgeldeinnahmen" (Bl. 18 der Akte) ist ausgeführt:
"Im Gespräch vom 28.10.2020 haben wir Sie damit konfrontiert, dass uns durch Zeugen zugetragen wurde, dass Sie Fahrgelder angenommen, aber keinen Fahrschein ausgestellt haben. Zudem haben Sie manche Fahrgäste dazu aufgefordert einen geringeren Betrag zu zahlen, wenn sie keinen Fahrschein haben wollen. Sie haben dies zunächst abgestritten, dann jedoch zugegeben, dass es sich angeblich nur um Kleinbeträge gehandelt habe.
Sie haben hiermit Fahrgelder unterschlagen, welche unserem Auftraggeber gehören. Solch ein Verhalten verstößt grob gegen das Arbeitnehmer/Arbeitgeber Verhältnis verstößt und die Vertrauensbasis sehr darunter leidet. Ich weise Sie darauf hin, dass Sie jedem Kunden einen Fahrschein ausstellen müssen, wenn dieser keinen gültigen Fahrschein vorweisen kann. Sie dürfen kein Geld annehmen, wenn Sie keinen Fahrschein rausgeben.
Verstoßen Sie weiterhin gegen diese Anweisung, sehe ich mich gezwungen, das Arbeitsverhältnis zu kündigen.
Bitte bestätigen Sie auf der Durchschrift dieses Schreibens, daß Sie die Abmahnung gelesen und verstanden haben, und daß die erhobenen Vorwürfe zutreffen."
Der Kläger unterschrieb das Schreiben.
Am 2. Dezember 2020 fuhr der Kläger seine Route ab. An diesem Tag nahm er wiederholt von Fahrgästen Fahrgeld entgegen, streitig ist, ob er jeweils auch einen Fahrschein ausgab.
Am 3. Dezember 2020 beantragte die Beklagte bei dem Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des mit dem Kläger bestehenden Arbeitsverhältnisses (Bl. 98 ff. der Akte). Es ist zwischen den Parteien streitig, ob die Beklagte den Antrag per einfacher E-Mail oder über das zur Verfügung gestellte Online-Verfahren an das Integrationsamt übermittelte. Insoweit ist eine Eingangsbestätigung (Bl. 103 der Akte) erteilt worden. Unstreitig ist, dass sie jedenfalls ein zur Verfügung gestelltes Formular ausfüllte und unterschrieb.
Das Integrationsamt teilte der Beklagten mit Schreiben vom 3. Dezember 2020 (Bl. 48 der Akte) mit, dass der Antrag vom 3. Dezember 2020 am 3. Dezember 2020 bei ihr eingegangen und über den Antrag innerhalb von zwei Wochen zu entscheiden sei.
Mit Schreiben vom 16. Dezember 2020 (Bl. 60 f. der Akte), welches der Beklagten am 18. Dezember 2020 zuging, erteilte das Integrationsamt die Zustimmung. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Der Widerspruch ist am 23. Juni 2021 zurückgewiesen worden (Bl. 207 - 208 der Akte).
Die Beklagte kündigte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich mit Schreiben vom 18. Dezember 2020 (Bl. 15 der Akte).
Mit seiner bei dem Arbeitsgericht Offenbach a.M. am 30. Dezember 2020 eingegangenen und der Beklagten am 12. Januar 2021 zugestellten Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung sowie die Entfernung der Abmahnungen aus der Personalakte geltend gemacht.
Mit Schreiben vom 18. Januar 2021 (Bl. 65 f. der Akte) erteilte das Integrationsamt die Zustimmung zur hilfsweisen ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 25. Januar 2021 Widerspruch ein. Die Beklagte sprach sodann mit Schreiben vom ...