Entscheidungsstichwort (Thema)
Anzeigepflichtige Massenentlassung. Regelmäßig Beschäftigte
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die Bestimmung der Zahl der regelmäßig Beschäftigten ist nicht entscheidend, wie viele Arbeitnehmer dem Betrieb zufällig zu einem bestimmten Zeitpunkt angehören. Vielmehr ist auf die normale Zahl der Beschäftigten abzustellen, also auf die Personalstärke, die für den Betrieb im Allgemeinen kennzeichnend ist. Dies erfordert regelmäßig sowohl einen Rückblick als auch eine Prognose. Im Fall einer Betriebsstilllegung kann allerdings nur ein Rückblick auf die bisherige Belegschaftsstärke in Frage kommen.
2. Für das Vorliegen der Voraussetzungen einer anzeigepflichtigen Massenentlassung i.S.v. § 17 KSchG ist der Arbeitnehmer beweispflichtig. Er muss sowohl die Zahl der beschäftigen Arbeitnehmer als auch die Zahl der entlassenen Arbeitnehmer im Streitfall beweisen.
Normenkette
KSchG § 17 Abs. 1, § 18; BetrVG § 113 Abs. 1, 3, § 111
Verfahrensgang
ArbG Limburg a.d. Lahn (Urteil vom 28.08.2002; Aktenzeichen 1 Ca 359/02) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Limburg vom 28.08.2002 (Az.: 1 Ca 359/02) abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger trat am 9. September 1991 als Maurer in die Dienste der Beklagten. Sein durchschnittlicher monatlicher Verdienst betrug EUR 2.158,60 brutto. Am 31. Januar 2002 teilte der Inhaber der Beklagten den Mitarbeitern auf einer Versammlung mit, er habe am 15. Januar 2002 den Entschluss gefasst, das Unternehmen zu liquidieren und den Betrieb zum 31. Oktober 2002 einzustellen.
Am 25. Februar 2002 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung der Arbeitnehmer an. Dem Betriebsrat wurde eine Liste mit Namen von 21 Arbeitnehmern übergeben, in der die Ehefrau des Inhabers der Beklagten, R. R., deren Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zum 28. Februar 2002 durch Kündigung beendet wurde, sowie der am 30. August 1983 geborene Auszubildende S. J., dessen Berufsausbildungsverhältnis durch Kündigung zum 15. Februar 2002 von der Beklagten fristlos gekündigt worden war, enthalten waren. Der Betriebsrat widersprach den beabsichtigten Kündigungen mit Schreiben vom 01. März 2002 und verlangte den Abschluss eines Sozialplans. Dies lehnte die Beklagte ab. Eine Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 KSchG nahm die Beklagte nicht vor.
In den Jahren 1997 bis 2001 war ein Mitarbeiter … vom 09. April bis 31. Oktober 1997, vom 17. August bis 18. Dezember 1998, vom 14. April bis 30. November 1999, vom 03. April bis 30. November 2000 und vom 17. April bis 12. Oktober 2001 beschäftigt.
Mit Schreiben vom 19. März 2002 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 31. Oktober 2002. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage und begehrt hilfsweise die Wiedereinstellung und weiter hilfsweise eine Abfindung nach § 113 Abs. 3 BetrVG.
Der Kläger hat behauptet, bei der Beklagten seien am 15. Januar 2002 noch 21 Arbeitnehmer beschäftigt gewesen, so dass mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich hätte verhandelt werden müssen. In den letzten Jahren habe die Belegschaftszahl stets über 21 gelegen. Die Mitarbeiter R. R. – und J. seien zu den regelmäßig Beschäftigten zu zählen. Daneben seien auch noch die Mitarbeiter C., S. und S. beschäftigt gewesen.
Deshalb sei auch die Kündigung wegen unterlassener Massenentlassungsanzeige unwirksam.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 19.03.2002 nicht aufgelöst worden ist,
die Beklagte im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. Zu verurteilen, den Kläger als Maurer bis zur Rechtskraft der Entscheidung über den als Antrag 1. gestellten Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen.
hilfsweise
die Beklagte zu verurteilen als Nachteilsausgleich gem. § 113 Abs. 3 BetrVG, an den Kläger eine Abfindung zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch mindestens in Höhe von 11.872,30 EUR.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, die Auftragslage habe sich seit dem Jahre 2001 stark verschlechtert. Um eine Kostenersparnis vorzunehmen, sei im September 2001 das Arbeitsverhältnis mit der Ehefrau des Inhabers mit Wirkung zum 28. Februar 2002 gekündigt worden. Da Anfang des Jahres 2002 erkennbar gewesen sei, dass sich die Auftragslage nicht bis zum Sommer oder Herbst 2002 verbessern würde, der Kreditrahmen bei der Bank ausgeschöpft gewesen sei und die Bank nicht bereit gewesen sei, das Kreditvolumen auszuweiten, habe die Beklagte am 15. Januar 2002 beschlossen, den Betrieb zum 31. Oktober 2002 einzustellen. Die Beklagte habe ihren langjährig beschäftigten Mitarbeitern die Möglichkeit geben wollen, sich aus einem ungekündigten Arbeitsverhältnis zu bewerben und desh...