Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfindung. Rationalisierungsschutzabkommen. Höhe des Anspruchs auf Abfindungszahlung gemäß §§ 3, 9 Rationalisierungsschutzabkommen. Tarifverträge für das private Bankgewerbe. Regelungslücke. Auslegung bezüglich des Abfindungsanspruchs
Leitsatz (redaktionell)
Haben die Tarifvertragsparteien zu erkennen gegeben, dass im Falle des rationalisierungsbedingten Verlustes von Arbeitsplätzen in allen Fällen Abfindungen gezahlt werden sollen, wenn bestimmte Mindestzeiten an Betriebszugehörigkeit erreicht worden sind, dabei aber nicht gesehen, dass Arbeitnehmer auch erst deutlich nach Vollendung des 40. Lebensjahres in ein Arbeitsverhältnis eintreten, ohne 10 Jahre Betriebszugehörigkeit zu erreichen, und von einer rationalisierungsbedingten Kündigung betroffen sein können oder auch das 40. Lebensjahr vollendet haben, aber keine 10jährige Beschäftigungsdauer aufweisen, ist nicht davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien Arbeitnehmer in diesen Fällen von jeglicher Abfindungszahlung ausnehmen wollten; vielmehr ist anzunehmen, dass in diesen Fällen die "normale" Abfindung zu zahlen ist, die in § 9 Abs. 3 Satz 2 des Rationalisierungsschutzabkommens geregelt ist.
Normenkette
Rationalisierungsschutzabkommen § 9
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 13.12.2011; Aktenzeichen 8 Ca 4994/11) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 13. Dezember 2011 - 8 Ca 4994/11 - dahingehend teilweise abgeändert, dass die Klage abgewiesen wird, soweit der Klägerin mehr als EUR 2.059,69 (in Worten: Zweitausendneunundfünfzig und 69/100 Euro) brutto zugesprochen wurden.
Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 75 % und die Beklagte 25 %.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob und in welcher Höhe der Klägerin ein Anspruch auf Abfindungszahlung zusteht.
Die am 18. März 1970 geborene, verheiratete und 2 Kindern zum Unterhalt verpflichtete Klägerin war seit dem 15. September 2000 bei der Beklagten als Angestellte im Betrieb der Beklagten in A. zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von zuletzt € 2.059,69 in Teilzeit bei einer Arbeitszeit von 24 Stunden pro Woche beschäftigt.
Mit Schreiben vom 29. September 2009 kündigte die Beklagte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 30. Juni 2010 und bot der Klägerin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ab dem 01. Januar 2010 in B. an. Hintergrund war die Entscheidung der Beklagten, ihren Geschäftssitz in A. aufzugeben und nach B. zu verlegen. Die Klägerin nahm dieses Änderungsangebot nicht an. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete rechtskräftig zum 30. Juni 2010. In den Entscheidungsgründen des Urteils vom 25. März 2011 - 10 Sa 1290/10 - stellte das Hess. Landesarbeitsgericht darüber hinaus fest, dass der Klägerin zurzeit der hilfsweise geltend gemachte Abfindungsanspruch nicht zustünde, da die Kündigungsschutzklage noch nicht rechtskräftig abgewiesen sei.
Auf das Arbeitsverhältnis fanden kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme die Bestimmungen der Tarifverträge für das private Bankgewerbe, so auch das Rationalisierungsschutzabkommen in der ab dem 08. Juli 2004 geltenden Fassung Anwendung. § 3 des Rationalisierungsschutzabkommens lautete wie folgt:
"Begriffsbestimmung
Rationalisierungsschutzmaßnahmen im Sinn dieses Tarifvertrages sind vom Arbeitgeber veranlasste Änderungen der Arbeitstechnik oder der Arbeitsorganisation zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens, sofern diese zu Versetzungen, Herabgruppierungen oder Kündigungen führen."
Im weitgehend gleichlautenden Rationalisierungsschutzabkommen in der ab dem 10. Juni 2010 geltenden Fassung ist hinter "... Änderung der Arbeitstechnik oder der Arbeitsorganisation..." in Klammern hinzugefügt "auch Schließung von Standorten/Betriebsstätten".
In § 9 Abs. 3 des Rationalisierungsschutzabkommens ist unter anderem geregelt, dass dann, wenn Rationalisierungsmaßnahmen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen, der Arbeitnehmer eine Abfindung erhält. Die Abfindung beträgt bei einem Alter von 40 Jahren und einer Betriebszugehörigkeit von 10 Jahren 4 Monatsgehälter; wegen der weiteren Staffelung der Abfindungsbeträge wird auf die Tabelle im Rationalisierungsschutzabkommen (Bl. 19 d. A.) Bezug genommen. Des Weiteren ist im Rationalisierungsschutzabkommen geregelt, dass für Arbeitnehmer vor Vollendung des 40. Lebensjahres die Abfindung bei 5jähriger Betriebszugehörigkeit 1 Monatsgehalt, bei 10jähriger Betriebszugehörigkeit 2 Monatsgehälter und bei 15järiger Betriebszugehörigkeit 3 Monatsgehälter beträgt. Für die Berechnung der Dauer der Betriebszugehörigkeit und des Lebensalters ist der Tag der Beendigung des Arbeitsverhältnisses maßgebend. Wegen des gesamten Inhalts des Rationalisierungsschutzabkommens in der Fassung ab 08. Juli 2004 wird auf Bl. 14 bis Bl. 20 d. A. und in der Fassung ab dem 10. Juni 2010 auf Bl. 21 bis B...