Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksamkeit einer Vertragsklausel. Blue-pencil-Test. Unzulässige geltungserhaltende Reduktion einer Ausschlussfrist

 

Leitsatz (amtlich)

Die Unwirksamkeit eines Teils einer Klausel führt zur Unwirksamkeit der gesamten Klausel, wenn eine Teilbarkeit nicht möglich ist. Sieht der andere Teil einer Verfallklausel vor, dass "alle übrigen beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit" verfallen, so ist der verbleibende Satz(teil) aus sich heraus nicht mehr allein verständlich; denn es kann nicht bestimmt werden, um welche Ansprüche im Einzelnen es sich handeln soll, die der dreimonatigen Ausschlussfrist unterliegen. Das wäre erst wieder möglich, wenn auch in dem verbliebenen Satz ein weiteres Wort, nämlich "übrigen" gestrichen würde und die Regelung lautete: "alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit". Diese weitere Streichung ginge allerdings über die im Rahmen des Blue-pencil-Tests zulässige Streichung des unzulässigen Teils der Vorschrift hinaus und würde zu einer unzulässigen geltungserhaltenden Reduktion der Ausschlussfrist als Ganzes führen.

 

Normenkette

BGB § 307 Abs. 1, § 306 Abs. 1; AÜG § 9 Ziff. 2, § 10 Abs. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Gießen (Entscheidung vom 06.07.2012; Aktenzeichen 10 Ca 47/12)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 6. Juli 2012 - 10 Ca 47/12 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufung noch über Differenzlohnansprüche des Klägers für die Zeit von Januar bis Juni 2008.

Die nicht tarifgebundene Beklagte betreibt u.a. Arbeitnehmerüberlassung. Der Kläger war bei ihr auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 18.6.2004 als Putzer von Gussteilen beschäftigt. Auf den Inhalt des Arbeitsvertrages, insbesondere die in § 11 vereinbarte Ausschlussfrist, wird Bezug genommen (Bl. 24, 25 d.A.). In der Zeit vom 1.01. bis 30.06.2008 setzte ihn die Beklagte bei der Fa. A als Leiharbeitnehmer ein. Der Entleiherbetrieb ist tarifgebunden. Dort gelangen die Tarifverträge für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie des Landes H... zur Anwendung. Die Beklagte zahlte einen arbeitsvertraglich vereinbarten Stundenlohn von € 10,-- brutto.

Der Kläger erhielt auf Anfrage vom Entleiherbetrieb die Auskunft, dass eine seiner Tätigkeit entsprechende Stelle mit der Entgeltgruppe E 3 und der Erschwerniszulage 7 entlohnt werde. Daraus ergebe sich für die Zeit ab 01.01.2008 ein Stundenlohn von € 13,64 und ab dem 01.06.2008 ein Stundenlohn von € 13,85 brutto (Bl. 27 d.A.).

Mit seiner am 08.07.2011 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger neben anderen Ansprüchen Vergütung nach dem Equal-Pay-Gedanken auf der Basis der vom Entleiherbetrieb erhaltenen Auskunft für den Zeitraum Januar bis Juni 2008 in Höhe von € 4.273,87 brutto verlangt.

Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhalts, des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der Anträge der Parteien wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Gießen vom 06.07.2012, Az. 10 Ca 47/12 Bezug genommen Bl. 121 - 127 d.A.).

Das Arbeitsgericht Gießen hat mit Urteil vom 06.07.2012 die Beklagte zur Zahlung von Vergütung für die Monate Januar bis Juni 2008 in Höhe des eingeklagten Betrages verurteilt. Für die Begründung des Urteils wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (Bl. 131 d.A.)

Die Beklagte hat gegen das ihr am 02.08.2012 zugestellte Urteil am 08.08.2012 Berufung beim Landesarbeitsgericht eingelegt und diese am 02.10.2012 begründet.

Die Beklagte beschränkt ihre Einwendungen gegen das arbeitsgerichtliche Urteil ausschließlich darauf, dass die Ansprüche des Klägers aufgrund der im Arbeitsvertrag in § 11 vereinbarten Ausschlussfrist nicht rechtzeitig innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit geltend gemacht wurden und deshalb verfallen seien. Sie ist der Ansicht, die Klausel sei wirksam und halte einer AGB-Kontrolle stand, weil die Regelung in § 11 Abs.1 Arbeitsvertrag, wonach Ansprüche auf Zuschläge aller Art innerhalb vier Wochen, alle übrigen Ansprüche innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit geltend zu machen sind, teilbar sei. Der zweite Teil könne trotz der Unwirksamkeit des ersten, die Zuschläge betreffenden Teils, weiter Wirksamkeit entfalten. Der erste Teil der Klausel könne gänzlich unberücksichtigt bleiben, ohne dass dadurch der Regelungsgehalt des auf die Geltendmachung aller übrigen Ansprüche bezogenen zweiten Teils tangiert werde. Der zweite Teil habe einen sinnvollen und zuverlässigen Regelungsinhalt und weise keinen untrennbaren Bezug zu der auf die Geltendmachung von Zuschlägen bezogenen Ausschlussfrist auf.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 06.07.2012 - 10 Ca 47/12 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil...

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