Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des SokaSiG. Rückforderung von Beiträgen zum Sozialkassenverfahren im Baugewerbe aufgrund Unwirksamkeit der Allgemein-Verbindlicherklärung von Tarifverträgen
Leitsatz (amtlich)
Das SokaSiG ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und bildet einen Rechtsgrund i.S.d. § 812 BGB für das Behaltendürfen der zuvor von den Bauarbeitgebern gezahlten Beiträge.
Normenkette
BGB § 812; SokaSiG § 7; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 9 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 20.09.2017; Aktenzeichen 2 Ca 1336/16) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 20. September 2017 - 2 Ca 1336/16 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Rückzahlung angeblich zu Unrecht geleisteter Beiträge an die beklagten Sozialkassen.
Die Beklagte zu 1. ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (ULAK), die Leistungen im Urlaubs- und Berufsbildungsverfahren erbringt. Für Beitragsansprüche ab 1. Januar 2010 ist sie die Einzugsstelle für den tariflichen Sozialkassenbeitrag. Die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes (ZVK), die Beklagte zu 2., gewährt zusätzliche Leistungen zu den gesetzlichen Renten. Beides sind gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Beide Einrichtungen treten im Rechtsverkehr unter der Bezeichnung "Soka-Bau" auf.
Die Klägerin ist nicht Mitglied im Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) oder im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB). Sie unterhielt im Jahr 2014 einen Baubetrieb. Sie zahlte Beiträge an die ULAK und erhielt im Gegenzug Erstattungen der Urlaubsvergütung.
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 21. September 2016 - 10 ABR 33/15 - (NZA Beilage 1/2017, 12 ff.) entschieden, dass die Allgemeinverbindlicherklärung(en) (kurz: AVE) des VTV vom 15. Mai 2008 (BAnz. Nr. 104a 15. Juli 2008) sowie vom 25. Juni 2010 (BAnz. Nr. 97 2. Juli 2010) unwirksam sind. Mit einem weiteren Beschluss vom gleichen Tag (10 ABR 48/15,AP Nr. 36 zu § 5 TVG) hat es entschieden, dass die AVE vom 17. März 2014 (BAnz. AT 19. März 2014 B1) unwirksam ist. Mit Beschlüssen vom 25. Januar 2017 - 10 ABR 43/15 - sowie 10 ABR 34/15 - hat das Bundesarbeitsgericht ferner entschieden, dass die AVE vom 3. Mai 2012 (BAnz. AT 22. Mai 2012 B4) und vom 29. Mai 2013 (BAnz. AT 7. Juni 2013 B5) unwirksam sind.
Daraufhin ist ein Gesetzgebungsverfahren zur Stützung des Sozialkassenverfahrens im Baugewerbe initiiert worden. Der Gesetzesentwurf (BT-Drucks. 18/10631) ist von den Fraktionen der CDU/CSU sowie der SPD am 13. Dezember 2016 vorgelegt worden. Der Deutsche Bundestag hat am 26. Januar 2017 das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (kurz: SokaSiG) verabschiedet. Es sieht vor, dass der VTV in seiner jeweiligen Fassung rückwirkend bis zum Jahr 2006 ohne Rücksicht auf eine AVE "gelten" soll. Das Gesetz ist am 24. Mai 2017 im Bundesgesetzblatt veröffentlich worden (BGBl. I Nr. 29, S. 1210 ff.) und am 25. Mai 2017 ausweislich dessen § 14 ohne eine Übergangsvorschrift in Kraft getreten.
Am 9. Dezember 2016 hat die Klägerin Klage auf Rückzahlung der in 2014 Beiträge erhoben.
Sie hat behauptet, sie habe an die Beklagten insgesamt 52.824,96 Euro gezahlt. An Erstattungen seien 38.490,89 Euro geflossen. Sie könne als Differenz 14.334,07 Euro verlangen. Sie hat die Auffassung vertreten, dass sie nach § 812 BGB Anspruch auf Rückzahlung der Beiträge habe. Ein Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistungen liege nicht vor, nachdem die AVE 2014 unwirksam ist. Das SokaSiG sei verfassungswidrig. Es sei ein Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG anzunehmen. Ein Ausnahmefall, wonach eine echte Rückwirkung ausnahmsweise erlaubt sei, sei nicht ersichtlich. Das Gesetz verstoße gegen das Rückwirkungsverbot. Sie habe auf den Fortbestand des geltenden Rechts vertraut. Zwingende Gründe des Allgemeinwohls würden nicht vorliegen. Eine Nachwirkung der AVE 2006 komme nicht in Betracht.
Die Klägerin hat den Antrag gestellt,
die Beklagten zu verurteilen, an sie 14.334,07 Euro zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23. Oktober 2016 zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben die Auffassung vertreten, dass keine Rückforderungsansprüche bestünden. Die Passivlegitimation der Beklagten zu 2. sei schon nicht gegeben. Sie könnten sich nunmehr auf das SokaSiG stützen. Dieses halte trotz der Rückwirkung einer verfassungsrechtlichen Kontrolle stand.
Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat mit Urteil vom 20. September 2017 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Beklagten auf die Regelung des § 7 SokaSiG stützen könnten. Das Gesetz sei auch nicht zu beanstanden. Es enthalte zwar eine Rückwirkung, die Klägerin könne sich aber nicht auf einen Vertrauensschutz berufe...