Entscheidungsstichwort (Thema)
Zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren. Beitragspflicht der nicht tarifgebundenen Branchenbetriebe zu dem Sozialkassensystem der Bauwirtschaft. Verfassungsmäßigkeit des § 7 SokaSiG
Leitsatz (amtlich)
Die rückwirkende Geltungserstreckung des VTV-Bau auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber durch § 7 SokaSiG begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Streitgegenstandsbegriff (der prozessuale Anspruch) bestimmt sich nach dem im arbeitsgerichtlichen Verfahren wie allgemein im Zivilprozess geltenden "zweigliedrigen" Streitgegenstand durch den Klageantrag, in dem sich die von der klagenden Partei in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und dem Lebenssachverhalt (Anspruchsgrund), aus dem die klagende Partei die begehrte Rechtsfolge herleitet.
2. Werden in einem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend vorgefertigte, industriell hergestellte und vor ihrer Montage nicht oder nicht wesentlich veränderte Fertigteile eingebaut und notwendige Zusammenhangtätigkeiten wie das Setzen von Türgriffen oder Fenstergriffen ausgeführt, unterliegt der Betrieb dem Tätigkeitsbeispiel des § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37 VTV "Trocken- und Montagearbeiten" und damit der Beitragspflicht zum Sozialkassensystem im Baugewerbe.
Normenkette
SokaSiG § 7; VTV § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Urteil vom 18.08.2016; Aktenzeichen 9 Ca 1172/14) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 18. August 2016 – 9 Ca 1172/14 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer nach den Sozialkassentarifverträgen für Dezember 2009 bis Juli 2014.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Er hat nach den tarifvertraglichen Regelungen des Baugewerbes (Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe BRTV-Bau, Tarifvertrag für das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe VTV) insbesondere die Aufgabe, die Auszahlung der tarifvertraglich vorgesehenen Urlaubsvergütungen zu sichern. Zu diesem Zweck haben die den Bautarifverträgen unterfallenden Arbeitgeber monatliche Beiträge in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes der Bruttolohnsumme der beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer und Festbeiträge für angestellte Arbeitnehmer an den Kläger zu zahlen.
Die in A ansässige Beklagte ist seit 2006 im Handelsregister mit dem Unternehmensgegenstand „Handel mit Bauelementen und Montage von Fenster, Türen und Rollläden einschließlich der damit verbundenen Versiegelungsarbeiten“ eingetragen (Bl. 43 d.A.). Im Gewerberegister der Stadt A (Bl. 45 d.A.) ist als ausgeübte Tätigkeit eingetragen: „Vertrieb und Verkauf von Fenstern, Türen und Rollläden, Markisen etc.“ In einem Prüfbericht der Agentur für Arbeit vom 8. März 2013 (Bl. 84-50 d.A.) ist als überwiegende Tätigkeit angegeben: „typische Montage- und Fertigbauarbeiten, Nebentätigkeiten des Glaserhandwerks sowie des Handels“. Anlässlich einer Baustellenprüfung durch das Hauptzollamt B wurden am 27. September 2012 vier Arbeitnehmer der Beklagten auf einer Baustelle in A bei der Montage von Fenstern angetroffen. Diese Mitarbeiter gaben an, als Monteur bzw. Fenstermonteur für die Beklagte tätig zu sein. Unstreitig führt die Beklagte neben dem Handeln mit Fenstern, Türen, Rollläden und Markisen auch die Montage dieser Bauelemente durch. Streitig ist allein der Anteil dieser Tätigkeiten an der betrieblichen Gesamtarbeitszeit. Ausweislich der Mitgliederbescheinigung der Kreishandwerkerschaft C vom 5. Dezember 2014 (Bl. 63 d.A.) ist die Beklagte seit dem 25. August 2014 Mitglied der Tischlerinnung A.
Der Kläger hat die Beklagte zunächst in zwei getrennten Verfahren des Arbeitsgerichts Wiesbaden mit den Aktenzeichen 9 Ca 1172/14 und 9 Ca 26/15, die durch Beschluss vom 21. Mai 2015 verbunden worden sind, auf Grundlage der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 (VTV 1999), vom 18. Dezember 2009 (VTV 2009) und vom 3. Mai 2013 (VTV 2013) in den jeweils geltenden und für allgemeinverbindlich erklärten Fassungen für die Monate Dezember 2009 bis Juli 2014 auf Zahlung von Sozialkassenbeiträge für gewerbliche Arbeitnehmer in einer Gesamthöhe von Euro 314.676,00 in Anspruch genommen. Die Klageforderung hat der Kläger auf Grundlage der vom statistischen Bundesamt ermittelten Durchschnittslöhne in der Bauwirtschaft berechnet, wobei er zunächst von der Beschäftigung von neun Vollzeitarbeitnehmern pro Monat ausgegangen ist. Je Mitarbeiter und Monat hat er für das Kalenderjahr 2009 Euro 584,00, für das Kalenderjahr 2010 Euro 587,00, für das Kalenderjahr 2011 Euro 609,00, für das Kalenderjahr 2012 Euro 643,00 und für die Kalenderjahre 2013 und 2014 zunächst Euro 648,00 zu Grunde gelegt. Im Laufe des Verfahrens hat der Kläger d...