Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff der baulichen Tätigkeit i.S. von § 1 Abs. 2 VTV-Bau. Herstellung und Montage sogenannter "Schornsteinstülpköpfe" als Bautätigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die Herstellung und anschließende Montage sog. "Schornsteinstülpköpfe" ist keine bauliche Tätigkeit i.S.d. § 1 Abs. 2 VTV-Bau. Die Herstellung der Schornsteinschutzvorrichtungen ist insbesondere keine bloße Zusammenhangstätigkeit zu der sich anschließenden Montage, die für sich betrachtet baulichen Charakter hat.
2. Zur Zulässigkeit einer Klageänderung in der zweiten Instanz, wenn sich die ULAK nach Inkrafttreten des SokaSiG auf die neue Anspruchsgrundlage stützen will.
Normenkette
SokaSiG § 7; ZPO §§ 533, 263; VTV-Bau § 1 Abs. 2 Abschn. II
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 18.05.2017; Aktenzeichen 4 Ca 1077/14) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 18. Mai 2017 - 4 Ca 1077/14 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine Verpflichtung der Beklagten, Beiträge zum Sozialkassenverfahren des Baugewerbes zu entrichten.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Auf der Grundlage des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV), der in der Vergangenheit regelmäßig für allgemeinverbindlich erklärt worden ist, begehrt er von den Beklagten Zahlung von Beiträgen nach Verbindung von vier Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung in Höhe von zuletzt 32.326,42 Euro. Dabei handelt es sich um Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer in dem Zeitraum Januar 2010 bis Dezember 2013. Hinsichtlich der Zusammensetzung der Beitragsforderung wird verwiesen auf Bl. 239 bis 241 der Akte.
Die Beklagte zu 1. ist eine Handelsgesellschaft in der Rechtsform einer OHG, deren Gesellschafter die Beklagten zu 2. und zu 3. sind. Der Beklagte zu 2., Herr A, ist Schornsteinfegermeister. Im Gewerberegister der Stadt B ist der Betrieb seit dem Jahr 2003 mit den Tätigkeiten "Schornsteinfegerhandwerk, Maurer- und Betonbauerhandwerk" eingetragen (Bl. 36 der Akte). Bei der Handwerkskammer C ist der Betrieb in die Handwerksrolle für das Schornsteinfegerhandwerk eingetragen (Bl. 39 der Akte). Wegen des Internetauftritts wird Bezug genommen auf die Anlage K3, Bl. 40 der Akte.
In den Jahren 2010 und 2011 wurde jeweils eine Hilfskraft, Herr D, beschäftigt. In den Jahren 2012 und 2013 wurden zwei gewerbliche Mitarbeiter beschäftigt, neben Herrn D Herr E, der gelernter Dachdeckermeister ist. In 2012 wurde zusätzlich Herr F beschäftigt.
Unstreitig ist, dass in den streitgegenständlichen Kalenderjahren Verputzarbeiten an Schornsteinen und Querschnittsverengungen an Kaminen und Schornsteinen vorgenommen worden sind. Der Beklagte zu 2. erbrachte als Schornsteinfegermeister auch Reinigungsarbeiten und baute auch Kunststoffabgasleitungen in Schornsteine ein. Ab dem Jahr 2011 unterhielt die Beklagte auf einem Betriebshof eine Produktionsstätte für Schornsteinköpfe (sog. Stülpköpfe). Dabei handelt es sich um Schutzaufbauten zum Zwecke des Schutzes bereits vorhandener Schornsteine. Die Unterkonstruktion besteht im Wesentlichen aus Metall. Unter anderem wurden eine Plattensäge und eine Blechbearbeitungsmaschine angeschafft. Die produzierten Stülpköpfe wurden zum Teil durch eigene Mitarbeiter später eingebaut, zum Teil auch an Dritte verkauft. Ab dem Jahr 2012 hat die Beklagte zu 1. des Weiteren teilweise Dachdeckerarbeiten erbracht. Über den genauen Umfang der jeweils erbrachten Teiltätigkeiten herrscht zwischen den Parteien Streit.
Am 21. Januar 2013 wurde der Betrieb der Beklagten zu 1. durch die Agentur für Arbeit C im Rahmen der Förderung der ganzjährigen Beschäftigung im Baugewerbe überprüft. Dabei wurde festgestellt, dass auf die Tätigkeiten "Schornsteinsanieren", "Schornsteinverkleinern", "Dachwandanschlüsse" und "Dachfenstereinbau" 80 % der Arbeitszeit, einschließlich derjenigen des Inhabers A, entfallen sei. Bezüglich der Prüfungsunterlagen der Agentur für Arbeit wird Bezug genommen auf Bl. 28 bis 33 der Akte.
Das Bundesarbeitsgericht hat mit zwei Beschlüssen vom 21. September 2016 - 10 ABR 33/15 - sowie - 10 ABR 48/15 - entschieden, dass die Allgemeinverbindlicherklärung (kurz: AVE) 2008 und 2010 sowie die AVE 2014 des VTV unwirksam sind. Mit Beschlüssen vom 25. Januar 2017 - 10 ABR 43/15 - sowie 10 ABR 34/15 - hat das Bundesarbeitsgericht ferner entschieden, dass die AVE 2012 und 2013 unwirksam sind.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte zu 1. verpflichtet sei, Beiträge zum Sozialkassenverfahren zu zahlen. Er hat behauptet, dass die im Betrieb der Beklagten zu 1. beschäftigten Arbeitnehmer in dem Zeitraum 2010 bis 2013 zu mehr als jeweils 50 % ihrer persönlichen Arbeitszeit die folgenden Tätigkeiten erbracht hätten:
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Verputzarbeiten an Schornsteinen;
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Montage von Schornsteinkopfabdeckungen;
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Abdichtungsarbeiten, z.B. ein Glasdächern;
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Dämmarbeiten;
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Querschnittsv...