Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs. Durchsetzung im einstweiligen Verfügungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Die Beschäftigung des Arbeitnehmers im nicht beendeten Arbeitsverhältnis wird dem Arbeitgeber dann nicht nach § 275 Abs. 1 BGB unmöglich, wenn der Arbeitnehmer nach Ausübung des Weisungsrechts auf einem anderen Arbeitsplatz beschäftigt werden kann.
2. An den erforderlichen Verfügungsgrund bei einer einstweiligen Verfügung sind bei dem betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG keine hohen Anforderungen zu stellen; vielmehr ist die Eilbedürftigkeit bereits in der gesetzlichen Regelung angelegt.
3. Macht der Arbeitnehmer seine Beschäftigung im Eilrechtsschutz bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf der Grundlage des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs geltend und ab diesem Zeitpunkt auf der Grundlage von § 102 Abs. 5 BetrVG, so sind auch bei dem allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen keine hohen Anforderungen an den Verfügungsgrund zu stellen.
Normenkette
BGB §§ 611, 242; GG Art. 1, 2 Abs. 1; BetrVG § 102 Abs. 5; ZPO §§ 935, 940
Verfahrensgang
ArbG Offenbach am Main (Entscheidung vom 02.11.2017; Aktenzeichen 2 Ga 7/17) |
Tenor
Auf die Berufung der Verfügungsklägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 2. November 2017 – 2 Ga 7/17 – abgeändert.
Die Verfügungsbeklagte wird verurteilt, die Verfügungsklägerin einstweilen bis zur erstinstanzlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren in dem Rechtsstreit des Arbeitsgerichts Offenbach am Main – 2 Ca 332/17 – als Senior Drug Safety Associate zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen zu beschäftigen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Verfügungsbeklagte zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Wege eines einstweilen Verfügungsverfahrens um einen Beschäftigungs- sowie Weiterbeschäftigungsanspruch der Verfügungsklägerin.
Die am xx.xx.1960 geborene Verfügungsklägerin ist verheiratet, einem Kind zum Unterhalt verpflichtet und hat einen Grad der Behinderung von 50. Auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 18. April 2006 war sie ab 16. Mai 2006 für die Verfügungsbeklagte tätig.
Auszugsweise heißt es in dem Arbeitsvertrag wie folgt:
„1. Aufgabenbereich und Pflichten
(1) Mit Wirkung zum 16. Mai 2006 wird der Mitarbeiter von der Gesellschaft als Drug Safety Associate angestellt und mit allen damit im Zusammenhang stehenden Arbeiten betraut.
(2) Die Rechte und Pflichten des Mitarbeiters ergeben sich aus diesem Vertrag, den Regelungen des Mitarbeiterhandbuchs in seiner jeweils gültigen Fassung, soweit diese nicht durch die speziellen Regelungen dieses Vertrages ersetzt sind, sowie den jeweils geltenden gesetzlichen Bestimmungen.
…
3. Arbeitsort
Ort der Arbeitsleistung ist xxxx in A. Der Mitarbeiter weiß und ist dazu bereit, dass seine Arbeitsverpflichtung Arbeitseinsätze im In- und Ausland erfordern und mit umfangreicher Reisetätigkeit verbunden sein kann.
…
15. Freistellung, Rückgabe von Arbeitsmitteln
(1) Bei Kündigung des Vertrags kann die Gesellschaft den Mitarbeiter bis zum Ablauf der Kündigungsfrist jederzeit von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung unter Urlaubsanrechnung freistellen. …“
Das Bruttomonatsgehalt belief sich auf 2.327,92 Euro bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden. Mit Schreiben vom 4. Oktober 2011 wurde die Verfügungsklägerin zur Senior Drug Safety Associate befördert (Bl. 107 der Akte).
Die Verfügungsbeklagte ist Teil des Unternehmens der weltweit tätigen B-Gruppe. Obergesellschaft ist die B plc. mit Sitz in Irland. Die B-Gruppe ist ein Auftragsforschungsinstitut für klinische Studien der Phasen I bis IV.
Am Standort in A, wo ca. 440 Mitarbeiter beschäftigt werden, unterhielt die Verfügungsbeklagte eine Abteilung mit dem Namen Pharmacovigilence and Safety Services (PVSS). Dort waren zuletzt 14 Arbeitnehmer beschäftigt. Diese Abteilung erhielt ihre Aufgaben nach der Darstellung der Verfügungsbeklagten von der C. Ein Betriebsrat ist am Standort A gewählt.
Neben dem Standort A, in dem die Verfügungsklägerin arbeitete, unterhielt die Verfügungsbeklagte einen weiteren Standort in Köln.
Die Verfügungsklägerin war in dem Zeitraum Anfang März 2017 bis Ende September 2017 in die Abteilung „Imaging“ versetzt worden. Grundsätzlich war sie aber der Abteilung PVSS zugeordnet.
Das Integrationsamt stimmte der beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Verfügungsklägerin mit Bescheid vom 19. September 2017 zu (Bl. 108 bis 113 der Akte).
Die Verfügungsbeklagte hörte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu der beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung der Verfügungsklägerin an. Der Betriebsrat beriet über diese personelle Maßnahme in seiner Sitzung am 24. Juli 2017. Hinsichtlich der Einzelheiten der Sitzungsniederschrift wird verwiesen auf Bl. 146 bis 149 der Akte. Der Betriebsrat erklärte unter dem 25. Juli 2017 einen Widerspruch. Bezüglich der Einzelheiten des Widerspruc...