Entscheidungsstichwort (Thema)
Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen zu dem Sozialkassenverfahren im Baugewerbe
Leitsatz (redaktionell)
Der betriebliche Geltungsbereich des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) ist eröffnet, soweit im maßgeblichen (Beitrags-)Zeitraum von den im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern - wie hier - Rohrleitungen und Kanalrohre durch Hochdruck gereinigt, Verstopfungen mittels einer automatisierten Spirale beseitigt, in das Abflussrohr hineinragende Teile abgefräst, sonstige Abflusshindernisse beseitigt und, falls nötig, Schäden durch das Inliner- bzw. Kurzlinerverfahren behoben worden sind. Alles das sind bauliche Leistungen im Sinne von § 1 Abs. 2 VTV. Die früher häufig auch von den Gerichten vorgenommene Differenzierung, dass Reinigungsarbeiten baufremd und Fräs- und Sanierungsarbeiten, die eine Einwirkung auf das Bauwerk bedingen, baulich seien, ist rechtlich nicht zutreffend. Denn der Umstand, dass es sich um eine "Reinigungstätigkeit" handelt, hindert nicht die Einordnung als bauliche Leistung. Unschädlich ist dabei, dass es sich nicht um einen "klassischen" Ausbildungsberuf handelt, der in der BauWiAusbV geregelt ist; maßgeblich ist die Einordnung nach § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV, auch wenn sich neue und von der Handwerksordnung anerkannte Ausbildungsberufe herausgebildet haben.
Normenkette
VTV a.F. § 15 Abs. 2; VTV § 16 a.F., § 18 a.F.; SokaSiG § 7 Abs. 1-5; TVG § 5 Abs. 4
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 06.12.2022; Aktenzeichen 7 Ca 648/14) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 6. Dezember 2022 - 7 Ca 648/14 - wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 33 % und die Beklagte 67 % zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um eine Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Beiträgen zu dem Sozialkassenverfahren im Baugewerbe.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er zieht nach näherer tariflicher Maßgabe des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes ein.
Auf Grundlage des VTV in Verbindung mit dem SokaSiG hat der Kläger die Beklagte auf Zahlung von Beiträgen für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte für den Zeitraum Dezember 2009 bis Dezember 2013 in Höhe von insgesamt 607.995,00 Euro in Anspruch genommen.
Die Beklagte, die nicht Mitglied eines der tarifvertragsschließenden Verbände des Baugewerbes ist, unterhält einen Gewerbebetrieb mit Sitz in A. Der Betrieb der Beklagten ist im Handelsregister beim Amtsgericht Hanau unter HRB 91289 (Bl. 13 d.A.) mit dem Unternehmensgegenstand "Alle Dienstleistungen rund um das Segment Kanalreinigung und -reparatur, Dichtigkeitsprüfung und TV-Untersuchungen im Abwasserkanal sowie Übernahme und Fortführung des Geschäftsbetriebs der B."eingetragen. Sie firmiert unter der Bezeichnung "C".
In dem Betrieb der Beklagten wurden in den Jahren 2009 bis 2013 Arbeiten rund um die Wartung und Sanierung von Rohrleitungen und Kanalrohren erbracht. Sie erbrachte Arbeiten für die öffentliche Hand bei Kanalrohren sowie für private Eigentümer bei Rohrverstopfungen und -schäden auf Privatgrundstücken. Bei einer Verstopfung in einem Privathaus kam in der Regel eine sog. Spiralmaschine zum Einsatz (Bl. 21 der Akte). Einzelne Spiralen konnten mit einer Öse verlängert und so auf die gewünschte Länge gebracht werden. Sie wurden mit der Hand gesteuert. Vorne ist ein Bohrkopf - bestehend aus Metall und mit Zacken - angebracht, der sich durch die Verstopfung bohrte. Wenn die Verstopfung auf diesem Wege nicht beseitigt werden konnte, konnte die Beklagte auch Hochdruckspülungen vornehmen, wenn die Verstopfung in dem Rohr von der Straße bis zum Hausanschluss vorhanden war. Die Hochdruckspülung wurde durch spezielle Spülwagen erbracht, bei denen etwa zwischen 120 und 160 bar zum Einsatz kamen.
Falls dies erforderlich war, wurden in einem nächsten Schritt computergesteuerte TV-Inspektionsfahrten zur Erkundung der Beschaffenheit der Rohre vorgenommen. Soweit ein Sanierungsbedarf festgestellt wurde, machte die Beklagte dem Kunden ein gesondertes Angebot. Es kam vor, dass in das Rohr hineinragende Wurzeln abgefräst werden mussten. Zu den Sanierungsarbeiten zählte auch die Anwendung des sog. Kurzliner-Verfahrens, bei dem eine Schadstelle im Rohr mittels eines mit Epoxidharz versehenes Glasfaserlaminats abgedichtet wurde. Bei dem sog. Inliner-Verfahren wurde ein kompletter Schlauch in das Rohr verbracht, in dem dann die zu transportierende Flüssigkeit zukünftig transportiert wurde. Im Zusammenhang mit Sanierungsarbeiten fielen auch Rohrleitungsbau- und Rohrleitungstiefbauarbeiten an.
Über die arbeitszeitliche Verteilung der einzelnen Tätigkeiten im Hinblick auf die betriebliche Gesamtarbeitszeit herrscht zwischen den Parteien S...