Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderung an den Gewerbebetrieb im Tarifsystem des Baugewerbes

 

Leitsatz (amtlich)

Das Vorliegen eines Gewerbebetriebs ist fraglich, wenn der Eigentümer mit den baulichen Maßnahmen lediglich sein eigenes Wohneigentum instand setzt. In einem solchen Fall werden bauliche Maßnahmen ggf. nur im Rahmen einer Kapitalanlage erbracht. Dies kann aber nicht angenommen werden, wenn die baulichen Arbeiten durch eine GmbH erbracht werden und der Wohneigentümer lediglich Gesellschafter dieser GmbH ist.

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes haben in den tariflichen Vorschriften den Gewerbebegriff des staatlichen Gewerberechts in Bezug genommen. Dieser Gewerbebegriff umfasst alle erlaubten selbstständigen Tätigkeiten, die auf nachhaltige Gewinnerzielung gerichtet sind und fortgesetzt ausgeübt werden. Das Motiv kann in einer nachhaltigen Vermögensvermehrung bestehen. Ob die Absicht der Gewinnerzielung durch die bauliche Tätigkeit oder lediglich eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit im Sinne einer Kapitalanlage erbracht wird, ist unter Beachtung der jeweiligen subjektiven Absicht und Motivation des Betreibers zu ermitteln.

 

Normenkette

SokaSiG § 7; VTV-Bau § 1 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 14.09.2017; Aktenzeichen 1 Ca 63/17)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 16.09.2020; Aktenzeichen 10 AZR 56/19)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 14. September 2017 – 1 Ca 63/17 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 11.895,50 Euro (in Worten: Elftausendachthundertfünfundneunzig und 50/100 Euro) zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 16 % und die Beklagte 84 % zu tragen.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Frage, ob die Beklagte verpflichtet ist, Beiträge zum Sozialkassenverfahren der deutschen Bauwirtschaft zu zahlen.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Aufgrund des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV), der in der Vergangenheit regelmäßig für allgemeinverbindlich erklärt worden ist, hat er die Beklagte auf Zahlung von Beiträgen in Höhe von 14.146 Euro in Anspruch genommen. Dabei handelt es sich um Beiträge für den Zeitraum Januar 2012 bis November 2012 für mindestens zwei gewerbliche Arbeitnehmer. Der Kläger legte der Berechnung seiner Beitragsforderung die im Baugewerbe statistisch durchschnittlich angefallenen Bruttolöhne zu Grunde.

Die Beklagte hat den Zweck, Immobilien zu betreuen, die im Mit- oder Alleineigentum von Frau A stehen. Diese ist gleichzeitig alleinige Gesellschafterin und geschäftsführende Gesellschafterin der Beklagten. Zum Zwecke der Immobilienbetreuung waren bei der Beklagten Angestellte beschäftigt, die sich mit der Abwicklung von Mietverträgen etc. beschäftigten, ferner waren gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigt.

Im Februar 2008 und Mai 2008 wurden auf Baustellen der Beklagten eine Kontrolle durch das Hauptzollamt (HZA) B vorgenommen.

Aufgrund eines Schreibens der Bundesagentur für Arbeit vom 28. Oktober 2009, beim Kläger am 4. November 2009 eingegangen, erhielt der Kläger Kenntnis vom Betrieb der Beklagten.

In einem Vorverfahren den Zeitraum Dezember 2005 bis November 2006 betreffend hat der Kläger die Beklagte auf Zahlung von Beiträgen für gewerbliche Arbeitnehmer in Anspruch. Nach einer Beweisaufnahme hat das Berufungsgericht mit Urteil vom 13. November 2015 - 10 Sa 250/14 - angenommen, es seien überwiegend bauliche Tätigkeiten erbracht worden, weshalb die Beklagte zur Beitragszahlung verpflichtet sei.

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 21. September 2016 - 10 ABR 33/15 - (NZA Beilage 1/2017, 12 ff.) entschieden, dass die Allgemeinverbindlicherklärung(en) (kurz: AVE) des VTV vom 15. Mai 2008 (BAnz. Nr. 104a 15. Juli 2008) sowie vom 25. Juni 2010 (BAnz. Nr. 97 2. Juli 2010) unwirksam sind. Mit einem weiteren Beschluss vom gleichen Tag (10 ABR 48/15, AP Nr. 36 zu § 5 TVG) hat es entschieden, dass die AVE vom 17. März 2014 (BAnz. AT 19. März 2014 B1) unwirksam ist. Mit Beschlüssen vom 25. Januar 2017 - 10 ABR 43/15 - sowie 10 ABR 34/15 - hat das Bundesarbeitsgericht ferner entschieden, dass die AVE vom 3. Mai 2012 (BAnz. AT 22. Mai 2012 B4) und vom 29. Mai 2013 (BAnz. AT 7. Juni 2013 B5) unwirksam sind.

Daraufhin ist ein Gesetzgebungsverfahren zur Stützung des Sozialkassenverfahrens im Baugewerbe initiiert worden. Der Deutsche Bundestag hat am 26. Januar 2017 das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (kurz: SokaSiG) verabschiedet. Es sieht vor, dass der VTV in seiner jeweiligen Fassung rückwirkend bis zum Jahr 2006 ohne Rücksicht auf eine AVE „gelten“ soll. Das Gesetz ist am 25. Mai 2017 in Kraft getreten.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass die Beklagte auch für den hier gegenständlichen ...

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