Entscheidungsstichwort (Thema)

Begriff der Bohrarbeiten i.S. von § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 6 VTV-Bau

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Begriff der Bohrarbeiten i.S.d. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 6 VTV ist weit zu verstehen. Es kommt insbesondere nicht darauf an, dass die Bohrarbeiten in einem Zusammenhang mit (anderen) baulichen Arbeiten stehen.

2. Werden im Betrieb im Auftrag von Wasserbehörden Wasserbohrungen vorgenommen, um die Wasserqualität zu testen, werden keine Tätigkeiten der Urproduktion erbracht; vielmehr handelt es sich um Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge.

 

Normenkette

SokaSiG § 7 Abs. 3; VTV-Bau § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 6; ZPO §§ 533, 263; VTV-Bau §§ 15, 18

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 15.02.2017; Aktenzeichen 3 Ca 1147/16)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 15. Februar 2017 - 3 Ca 1147/16 - abgeändert.

Unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 18. Januar 2017 wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 2.793,00 EUR (in Worten: Zweitausendsiebenhundertdreiundneunzig und 0/100 Euro) zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen mit Ausnahme der Kosten, die durch die Säumnis am 18. Januar 2017 entstanden sind; diese hat der Kläger zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen zum Sozialkassenverfahren im Baugewerbe.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Auf der Grundlage des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV), der in der Vergangenheit regelmäßig für allgemeinverbindlich erklärt worden ist, nimmt er den Kläger nach Verbindung von zwei Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung auf Zahlung von Beiträgen in Höhe von 2.793 Euro in Anspruch. Dabei handelt es sich um Beiträge für jeweils einen gewerblichen Arbeitnehmer in dem Zeitraum Januar 2014 bis April 2014 sowie für einen Angestellten im Zeitraum Januar 2014 bis März 2014.

Im Gewerbeamt von A ist der Betrieb der Beklagten mit dem folgenden Gegenstand eingetragen (Bl. 152 der Akte):

"Bohrungen aller Art, insbesondere auch Landwirtschaftsbohrungen sowie Urproduktionsbohrungen, Wasser- und Pegelbohrungen; Geothermiebohrungen, Erkundungsbohrungen sowie die Durchführung von wissenschaftlichen Messungen und die Baugerätewartung, insbesondere auch für Drittunternehmen".

Die Bundesagentur für Arbeit hat mit Schreiben vom 1. März 2013 mitgeteilt, dass der Betrieb nicht verpflichtet sei, an der Winterbauumlage teilzunehmen.

Im Betrieb der Beklagten wurden überwiegend Bohrungen im Auftrag von öffentlichen und privaten Auftraggebern vorgenommen. Teilweise erfolgten die Bohrarbeiten zur Baugrunduntersuchung. Teilweise wurden Bohrarbeiten erbracht, um die Wasserqualität zu testen. Ferner wurden Bohrungen durchgeführt, um Erdwärme zu nutzen (Geothermiebohrungen). Über die weiteren Einzelheiten der betrieblichen Tätigkeit bei der Beklagten herrscht zwischen den Parteien Streit.

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 21. September 2016 - 10 ABR 33/15 - (NZA Beilage 1/2017, 12 ff.) entschieden, dass die Allgemeinverbindlicherklärung(en) (kurz: AVE) des VTV vom 15. Mai 2008 (BAnz. Nr. 104a 15. Juli 2008) sowie vom 25. Juni 2010 (BAnz. Nr. 97 2. Juli 2010) unwirksam sind. Mit einem weiteren Beschluss vom gleichen Tag (10 ABR 48/15,AP Nr. 36 zu § 5 TVG) hat es entschieden, dass die AVE vom 17. März 2014 (BAnz. AT 19. März 2014 B1) unwirksam ist. Mit Beschlüssen vom 25. Januar 2017 - 10 ABR 43/15 - sowie 10 ABR 34/15 - hat das Bundesarbeitsgericht ferner entschieden, dass die AVE vom 3. Mai 2012 (BAnz. AT 22. Mai 2012 B4) und vom 29. Mai 2013 (BAnz. AT 7. Juni 2013 B5) unwirksam sind.

Daraufhin ist ein Gesetzgebungsverfahren zur Stützung des Sozialkassenverfahrens im Baugewerbe initiiert worden. Das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (kurz: SokaSiG) ist am 24. Mai 2017 im Bundesgesetzblatt veröffentlich worden (BGBl. I Nr. 29, S. 1210 ff.) und am 25. Mai 2017 ausweislich dessen § 14 ohne eine Übergangsvorschrift in Kraft getreten.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass der Betrieb verpflichtet sei, am Sozialkassenverfahren teilzunehmen. Er hat behauptet, die im Betrieb beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer hätten zu mehr als 50 % ihrer persönlichen Arbeitszeit die folgenden Tätigkeiten erbracht:

  • -

    Bohrarbeiten zur Untersuchung von Baugrundstücken und Strassentrassen, Geothermiebohrungen zur Erdwärmenutzung;

  • -

    Brunnenbauarbeiten, wie das Anlegen und Herstellen von Brunnen.

Zur Begründung hat er sich darauf berufen, dass in einem anderen Verfahren gegenüber der Beklagten die vernommenen Zeugen B, C und D ausgesagt hätten, dass sie in den Kalenderjahren 2009 - 2012 ganz überwiegend mit Bohrungen für Baugrunderkundungen und Geothermiebohrungen befasst gewesen seien.

Im Termin vom 18. Januar 2017 hat der Kläger keinen Antrag stellen lassen. Das Arbeitsgericht hat ein Versäumnisurt...

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