Entscheidungsstichwort (Thema)

Zahlung von Beiträgen zum Sozialkassenverfahren des Baugewerbes. Sachlicher Geltungsbereich des VTV. Wirtschaftliche Gesichtspunkte und handels- oder gewerberechtliche Kriterien. Arbeits-, Schutz- und Traggerüste, Fahrgerüste, Sonderkonstruktionen der Rüsttechnik

 

Leitsatz (amtlich)

Mobile Tribünen und Bühnen sind Gerüste iSd § 1 Abs. 2 Abschn. I VTV Gerüstbau. Das gilt auch, wenn die Tribünen unter Verwendung eines Baukasten-Systems errichtet werden, mit dem keine Baugerüste erstellt werden könnten (nach BAG Urt. 17.10.2012 - 10 AZR 629/11).

 

Normenkette

VTV-Bau § 1 Abs. 2 Abschn. 1; AusbildungsVO § 4 Nr. 19

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 02.09.2011; Aktenzeichen 8 Ca 1015/10)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 2. September 2011 - Az. 8 Ca 1015/10 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Beitragsverpflichtungen der Beklagten zum Sozialkassenverfahren im Gerüstbaugewerbe für die Monate Januar bis Dezember 2007.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien und nach dem allgemeinverbindlichen Verfahrenstarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Gerüstbaugewerbe (VTV) zum Einzug der Beiträge zu der Sozialkasse im Gerüstbaugewerbe verpflichtet.

Der Kläger nahm die Beklagte, die nicht Mitglied eines der tarifvertragschließenden Verbände war, auf Zahlung von Mindestbeiträgen (für Gerüstbauer) für den Zeitraum Januar bis Dezember 2007 in Höhe von € 67.126,80 für 10 gewerbliche Arbeitnehmer und in Höhe von € 396,-- für drei Angestellte in Anspruch. Die Beklagte führt einen Betrieb, der unter Verwendung des Systems NOAH Tribünen plant, baut und vermietet. Bei der Berechnung der Forderung ging der Kläger von einer Vollzeitbeschäftigung von 10 gewerblichen Arbeitnehmern während des gesamten Kalenderjahres und einer Vergütung nach Lohngruppe IV (Gerüstbauer, 13,24 €) in monatlicher Höhe von € 2.237,56 aus.

Der Kläger hat behauptet, dass der Betrieb der Beklagten arbeitszeitlich überwiegend Gerüstbaumaterial bereitstelle. Sie plane Tribünen unter Verwendung des Systems NOAH und stelle ihren Kunden das Material zur Verfügung. Er hat die Ansicht vertreten, dass es unerheblich sei, dass sie die Tribünen nicht selbst aufstelle. Unter Berücksichtigung der Verordnung über die Berufsausbildung zum Gerüstbauer und die Verordnung über die Meisterprüfung im Gerüstbauerhandwerk sei das Tribünenmaterial im Sinne der tarifvertraglichen Bestimmungen des VTV als Gerüst anzusehen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 67.522,80 Euro zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten hat die Ansicht vertreten, dass der Betrieb nicht unter den Geltungsbereich des VTV falle; denn bei dem verwendeten Material handele es sich nicht um Gerüste im Sinne des VTV. Sie beschäftige auch keine Gerüstbauer. Die Beklagte hat behauptet, im Kalenderjahr 2007 hätten die hauptsächlich im Lager eingesetzten gewerblichen Arbeitnehmer zusammen 3.168 Stunden gearbeitet. Sie hat weiter behauptet, dass sie nach der DIN 4112 arbeite, während für den Gerüstbau die DIN 4426 gelte.

Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat mit Urteil vom 02.09.2011 (8 Ca 1015/10) die Beklagte zur Beitragszahlung in Höhe von € 9.419,40 verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Es hat zunächst festgestellt, dass der Betrieb unter den Geltungsbereich des VTV falle, weil die Beklagte Gerüstmaterial bereitstelle. Die Höhe der Forderung hat das Gericht lediglich für die von der Beklagten eingeräumten 3.168 Stunden für gewerbliche Arbeitnehmer mit Lagerarbeiten und für Angestellte für 23 Mann-Monate als schlüssig dargelegt angesehen. Für die Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (Bl. 85R - 89 d.A.).

Die Beklagte hat gegen das ihr am 18.11.2011 zugestellte arbeitsgerichtliche Urteil am 16.12.2011 Berufung beim Landesarbeitsgericht eingelegt und diese am 18.01.2012 begründet.

Die Beklagte ist weiter der Ansicht, dass der Bau von Tribünen vom Geltungsbereich des VTV nicht erfasst werde, weil Tribünen keine Gerüste, sondern sog. fliegende Bauten nach § 84 NBauO seien. Der Tribünenbau unterliege einer anderen DIN-Norm als der Gerüstbau. Tribünen seien andersgeartete und eigene Bauwerke außerhalb des Einsatzgebiets von Gerüsten. Mit dem von ihr ausschließlich verwendeten Schnellbausystem NOAH ließen sich nur Tribünen, aber keine Gerüste bauen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei der Geltungsbereich des VTV dann eröffnet, wenn gewerblich mit Gerüstmaterial Gerüste oder sonstige Konstruktionen erstellt werden. Die Bauteile des Systems NOAH genügten den Anforderungen an Gerüstmaterial, das als Bauprodukt nach den Vorschriften der NBauO anzusehen sei, nicht. Die Beklagte verwende kein Gerüstmaterial. Das von ihr ausschließlich verwendete Material sei für den Tribünenbau patentiert und zeichne sich...

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