Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff des Nettoarbeitsentgelts im Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft
Leitsatz (amtlich)
1. Im Arbeitsrecht findet § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV grundsätzlich keine Anwendung (vgl. BAG 17. März 2010 - 5 AZR 301/09).
2. Für das Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft gelten keine Besonderheiten, die eine Abweichung von diesem Grundsatz rechtfertigen. Die Tarifvertragsparteien haben in § 18 Abs. 4 Buchst. a VTV bestimmt, dass der steuerrechtliche Bruttolohnbegriff zur Anwendung kommt.
3. Die ULAK ist daher nicht berechtigt, bei der Berechnung des Sozialkassenbeitrags von Bruttolohnsummen auszugehen, die unter Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf fiktive Bruttolöhne hochgerechnet worden sind.
Normenkette
SGB IV § 14 Abs. 2 S. 2; VTV-Bau § 18 Abs. 4 Buchst. a)
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 02.04.2014; Aktenzeichen 6 Ca 1778/12) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 2. April 2014 - 6 Ca 1778/12 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte zur Zahlung von Beiträgen gemäß dem Sozialkassentarifvertrag des Baugewerbes verpflichtet ist.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien der Bauwirtschaft. Nach näherer tariflicher Maßgabe zieht er die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes ein.
Die Beklagte betrieb in den Jahren 2007 bis 2010 einen Betrieb, in dem überwiegend Trocken- und Montagebauarbeiten erbracht wurden. Hauptauftraggeberin war die Firma A.. Der Ehemann der Beklagten, Herr B., führte Aufsicht auf den Baustellen. Auf diesen Baustellen wurden polnische Staatsangehörige, die über nur schlechte Deutschkenntnisse verfügten, eingesetzt. Schriftliche Verträge wurden mit den polnischen Staatsangehörigen nicht abgeschlossen.
Im Rahmen von Ermittlungen des Hauptzollamts C. zur Bekämpfung von Schwarzarbeit bestand der Verdacht, die Beklagte beschäftige illegal polnische Arbeitnehmer. Das Hauptzollamt kam ausweislich des zur Akte gereichten Schlussberichts vom 6. Juli 2011 nach Befragung des Ehemanns der Beklagten zu dem Ergebnis, dass in Wirklichkeit mit den polnischen Staatsangehörigen ein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Wegen der Einzelheiten des Berichts des Hauptzollamts wird verwiesen auf Blatt 49 bis 53 d.A.
Das Amtsgerichts D. verurteilte den Ehemann wegen des Vorenthaltens von Beiträgen zur Sozialversicherung in 49 Fällen am 22. August 2012 (Az.: 5231 Js 872/11) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, die Beklagte wurde verwarnt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass die Beklagte die polnischen Arbeitnehmer E., F., G., H., I., J., K., L. und M. nicht zur Sozialversicherung angemeldet habe. Das Urteil, welches mittlerweile rechtskräftig ist, beruhte auf geständigen Einlassungen der beiden Angeklagten. Hinsichtlich der sonstigen Einzelheiten des Strafurteils wird Bezug genommen auf Blatt 46 bis 48 d.A.
Auf der Grundlage des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) hat der Kläger eine Beitragsforderung für den Zeitraum Dezember 2007 bis März 2010 in Höhe von insgesamt 98.545,92 Euro geltend gemacht. Er berechnete die Forderung in der Weise, dass er zunächst von dem "Barlohn" ausging, den die polnischen Staatsangehörigen erhielten. Sodann wurde dieser Betrag unter Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf einen fiktiven Bruttolohn hochgerechnet. Hinsichtlich der zugrunde gelegten "Barlöhne" und der Hochrechnung durch die Deutsche Rentenversicherung (kurz: DRV) wird Bezug genommen auf Blatt 90 bis 102 d.A.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, an ihn Sozialkassenbeiträge für die polnischen Staatsangehörigen abzuführen. Es handele sich in Wirklichkeit um abhängig beschäftigte Arbeitnehmer der Beklagten. Sie verfügten über keine Geschäftsräume und seien aufgrund ihrer fehlenden Sprachkenntnisse nicht in der Lage gewesen, als Selbständige am Markt aufzutreten. Die Beklagte und ihr Ehemann hätten sämtliche Aufträge besorgt, die Einteilung auf den Baustellen vorgenommen und den Tagesablauf vorgegeben. Die polnischen Staatsangehörigen hätten keine weiteren Auftraggeber gehabt und seien von der Beklagten persönlich abhängig gewesen.
Er hat ferner die Auffassung vertreten, dass er berechtigt sei, die von der DRV ermittelten Bruttolöhne der Berechnung des Sozialkassenbeitrags zugrunde zu legen.
Am 17. April 2013 ist ein der Klage stattgebendes Versäumnisurteil ergangen, welches der Beklagten am 24. April 2013 zugestellt worden ist. Am 30. April 2013 hat sie hiergegen Einspruch eingelegt.
Der Kläger hat beantragt,
das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 17. April 2013 aufrechtzuerhalten.
Die Beklagte hat beantragt,
das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie hat bestritten, dass die polnischen Staatsangehörigen in einem Arbeitsverhältnis zu ihr gestanden hätten. Diese seien als selbständige Subunternehmer ...