Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung bei schwer psychischer Erkrankung. Verweigerung einer amtsärztlichen Untersuchung
Leitsatz (amtlich)
1) Macht ein Arbeitnehmer nach einer einschlägigen Abmarinung durch die neuerliche Weigerung sich nach § 7 Abs. 2 BAT amtsärztlich untersuchen zu lassen, die Versuche des Arbeitgebers. Art. und Schwere einer von ihm beim Arbeitnehmer vermuteten psychischen Erkrankung und seine Dienstfähigkeit aufzuklären, schuldlos zunichte, so kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis – ausnahmsweise – auch dann aus verhaltensbedingten Gründen (außerordentlich) kündigen, wenn der Arbeitnehmer durch ebenfalls schuldloses Fehlverhalten das Arbeitsverhältnis unzumutbar belastet hat und mit Wiederholungen zu rechnen ist.
2) Das gilt auch bei tariflichem Ausschluß der ordentlichen Kündigung.
Normenkette
BGB § 626; BAT §§ 7, 54
Verfahrensgang
ArbG Kassel (Urteil vom 29.01.1997; Aktenzeichen 8/6 Ca 45/95) |
Tenor
Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 29. Januar 1997 – 8/6 Ca 45/95 – teilweise abgeändert.
Die Klägerin tragt die Kosten des Rechtsstreits, soweit sie ihr nicht bereits erstinstanzlich auferlegt sind.
Der Streitwert wird für den Berufungsrechtszug neu auf 10.672.50 DM (i. W. Zehntausendsechshundertzweiundsiebzig 50/100) festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Erstinstanzlich war auch ein Weiterbeschäftigungsantrag Streitgegenstand.
Die 1954 geborene Klägerin war seit April 1974 als Justizangestellte (Schreibkraft) – zuletzt mit einer Monatsvergütung in Höhe von DM 3.557.51 – bei der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht in Kassel beschäftigt.
Nach Einschätzung ihrer Vorgesetzten zeigte sie seit Anfang 1994 dienstlich deutliche Verhaltensänderungen. Deshalb forderte sie der Behördenleiter mit Schreiben vom 07.03.1994 (Bl. 10 bis 12 d. A.) auf, sich von einem Facharzt für Psychiatrie bzw. Psychologie auf ihre Dienstfähigkeit hin untersuchen zu lassen. Dem ließ die Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 14.03.1994 (Bl. 13 bis 14 d. A.) entgegentreten. Da sich die Verhältnisse zunächst wieder besserten, ließ der Behördenleiter die Angelegenheit zunächst auf sich beruhen. Im Spätherbst 1994 kam es zu weiteren Verhaltensauffälligkeiten der Klägerin, die sich u. a. im lauten Türenknallen. Anrempeln von Kolleginnen. Äußerungen über bzw. bei Kolleginnen, „die Schlampe schlachte (stech') ich ab”, über den Wirtschaftsstrafsachbearbeiter … „Dies erbärmliche Arschloch”, über den Geschäftsleiter: „…dieses Arschloch: entweder ist er besetzt oder nicht da, der Fettsack” oder über den Behördenleiter: „So ein Verbrecher” niederschlugen (Bl. 110 d. A.).
Am 29.12.1994 führte der Behördenleiter nach vorherigem Drängen des Personalrats wegen der Bedrohlichkeit des Verhaltens der Klägerin ein weiteres Gespräch mit der Klägerin, um diese von der Notwendigkeit einer fachärztlichen Untersuchung zur Frage ihrer Dienstfähigkeit zu überzeugen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Personalrat bereits signalisiert, gegen eine eventuelle außerordentliche Kündigung keine Bedenken zu erheben. Die Klägerin bestritt in diesem Gespräch die Notwendigkeit einer solchen Untersuchung (…”ich bin kerngesund”…) und erklärte, zunächst ihren Anwalt zu diesem Punkt konsultieren zu wollen, der sei derzeit im Urlaub.
Am 13.01.1995 forderte der Behördenleiter die Klägerin schriftlich auf, sich innerhalb von zwei Wochen beim Amtsarzt des Gesundheitsamtes des Landkreises Kassel vorzustellen (Bl. 17 bis 20 d. A.).
Dem kam die Klägerin nicht nach.
Der Behördenleiter sprach daraufhin mit Schreiben vom 02.02.1995 eine Abmahnung aus und forderte die Klägerin erneut auf, die versäumte bzw. abgelehnte amtsärztliche Untersuchung auf ihre Dienstfähiekeit nachzuholen und bis zum 10.12.1995 nachzuweisen, daß sie sich beim Gesundheitsamt zur Untersuchung oder zu deren terminlicher Vereinbarung vorgestellt habe (Bl 23, 24 d. A.).
Er kündigte an, nach erfolglosem Ablauf dieser Frist das Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen.
Mit Schreiben vom 03.02.1995 zeigte daraufhin der damalige Kläger-Vertreter seine Beauftragung an und lehnte im Auftrag der Klägerin eine (amts-) ärztliche Untersuchung der Klägerin ab (Bl. 21, 22 d. A.). Er teilte mit, für seine Mandantin hätten „die erhobenen Vorwürfe … beleidigenden Charakter”, so daß sie sich „ihrerseits strafrechtliche Schritte” vorbehalte (Bl. 22 d. A.).
Mit weiterem Schreiben vom 03.02.1995 verlangte er die Rücknahme der Abmahnung und deren Entfernung aus der Personalakte (Bl. 25 d. A.). Es bestehe „nicht der geringste Anlaß, eine amts- oder vertrauensärztliche Untersuchung anzuordnen” (Bl. 25 d. A.).
Daraufhin unterrichtete der Behördenleiter den Anwalt der Klägerin mit Schreiben vom 06.02.1995 darüber, daß nach dem nicht nur von ihm gewonnenen Eindruck bei der Kläger „von einer psychischen Erkrankung auszugehen” sei, die sich „sowohl auf die dienstlichen Leistungen als auch auf die betriebliche Integr...