Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialkassenverfahren. Einwand gegen die Erhebung bestehender Beitragsrückstände
Leitsatz (redaktionell)
1. Beitragsschulden (§§ 18 Abs. 2, 19 Abs. 1 VTV-Bau) können nicht durch Aufrechnung erlöschen (§ 18 Abs. 5 VTV-Bau).
2. Der Einwand des "dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est" greift nicht ein, da eine Erstattungspflicht der Sozialkasse nach § 13 VTV-Bau so lange nicht besteht, bis nicht ihre sämtlichen Beitragsansprüche erfüllt sind.
Normenkette
VTV-Bau; ArbGG § 46a; VTV-Bau §§ 13, 18 Abs. 2, 5, § 19
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 12.05.2011; Aktenzeichen 5/11 Ca 44/10) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 12. Mai 2011 - 5/11 Ca 44/10 - wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Beitragsansprüche der Klägerin nach dem Sozialkassentarifvertrag des Baugewerbes für den Zeitraum Juli bis September 2009.
Die Klägerin ist die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes AG (ZVK-Bau). Sie ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.
Die Beklagte unterhält in A, Landkreis B, einen Tiefbau- und Straßenbaubetrieb, welcher unstreitig unter den Geltungsbereich des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) fällt. Die Beklagte befindet sich seit zumindest Ende 2008 in einem Sanierungs- und Restrukturierungsprozess. Die Klägerin gehört zu ihren Hauptgläubigern.
Die Beklagte hat ihren gesamten Beitragsrückstand gegenüber der Klägerin im Berufungsverfahren mit 173.156,55 € angegeben. Daneben bestehenden auch Erstattungsansprüche der Beklagten nach § 13 VTV gegen die Klägerin. Die Beklagte hat die Gesamthöhe dieser Gegenansprüche im zweiten Rechtszug zuletzt mit 123.036,54 € berechnet.
Es sind weitere Rechtstreite der Klägerin gegen die Beklagte bei dem Arbeitsgericht Wiesbaden anhängig.
In dem hier zu entscheidenden Verfahren hat die Klägerin von der Beklagten durch Mahnbescheid vom 07. Januar 2010, welcher ihr am 13. Januar 2010 zugestellt wurde, Beiträge für den Zeitraum Juli bis September 2009 in Höhe von 19.679,79 € gefordert. Die Beiträge wurden nach Meldungen der Beklagten berechnet, 19.076,79 € entfallen auf Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer, 603,00 € für Angestellte.
In dem Mahnbescheid vom 07. Januar 2010 sind die Beitragsansprüche, aufgeteilt nach gewerblichen Arbeitnehmern und Angestellten für den jeweiligen Zeitraum von Juli bis September 2009, aufgeführt. Zur Begründung des Beitragsbegehrens wird auf die Rückseite des Formulars, dort Begründung I., Bezug genommen. Im ersten Rechtszug ist von der Klägerin über die Angaben in dem Mahnbescheidsformular hinaus nicht schriftsätzlich vorgetragen worden.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie € 19.679,79 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt
die Klage abzuweisen.
Sie hat gemeint, die Beitragsforderung der Klägerin seien unbestimmt, da nicht erkennbar sei, welche Beträge die Klägerin selbst und welche sie als Einzugsstelle für Dritte geltend mache.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Klägerin müsse Erstattungsansprüche gemäß § 13 VTV gegen Beitragsansprüche verrechnen. § 18 Abs. 5 VTV verstoße gegen § 309 Nr. 3 BGB. Die Vorschrift sei zumindest so auszulegen, dass das Aufrechnungsverbot nicht gelte, wenn dadurch die Durchsetzung der Gegenforderung vereitelt oder erheblich gefährdet werde. Weiter sei die "dolo agit"-Einrede wegen ihrer Ansprüche nach § 13 VTV berechtigt. Außerdem komme ein Erlass der Beitragsforderungen durch die Klägerin entsprechend § 32 Abs. 2 VTV in Betracht, da bei einer Vollstreckung sämtlicher Beitragsrückstände die Insolvenz unvermeidlich sei und damit 19 Arbeitsplätze verloren gingen. Hilfsweise müsste die Klägerin nach dem Rechtsgedanken des § 32 Abs. 2 VTV wenigstens einer Stundungsvereinbarung oder Ratenzahlung unter Berücksichtigung ihres Erstattungsguthabens zustimmen.
Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat der Klage mit Urteil vom 12. Mai 2011 in vollem Umfang stattgegeben. Durch § 18 Abs. 5 VTV werde eine Aufrechnung wirksam ausgeschlossen. Da es sich um eine tarifvertragliche Regelung handele, scheide eine Unwirksamkeit nach § 309 Nr. 3 BGB aus. Einem Aufrechnungsverbot stehe auch die besondere Situation der Beklagten nicht entgegen da die Vollstreckung einer Forderung in Höhe von 19.679,79 € ihre wirtschaftliche Existenz nicht gefährde. Zudem liege dieser Betrag unter der Differenz zwischen den gesamten Beitragsforderungen und dem behaupteten Guthaben der Beklagten nach § 13 VTV. § 32 Abs. 2 VTV sei nur eine Ermessensvorschrift, dieses Ermessen habe die Klägerin ausgeübt.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 86 - 91 d.A.) Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil, welches ihr am 14. Mai 2011 zugestellt worden ist,...