Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilnahme eines Fliesen verkaufenden, lagernden, transportierenden und beim Kunden einbauenden Betriebes am Sozialkassenverfahren im Baugewerbe
Leitsatz (amtlich)
1. Werden in einem Betrieb Fliesen verkauft, gelagert, transportiert und beim Kunden eingebaut, so liegt jedenfalls dann ein baugewerblicher Betrieb und kein "Handels- oder Verkaufsbetrieb" vor, wenn der arbeitszeitlich überwiegende Anteil auf die Fliesenverlegung, den Transport und die Lagerarbeiten entfällt.
2. Zur Frage der Klageänderung in der Rechtsmittelinstanz bei Berufung auf das SokaSiG sowie der Verfassungskonformität des Gesetzes.
Leitsatz (redaktionell)
Die erstmalige Berufung auf die Bestimmungen des SokaSiG in der Berufungsinstanz stellt eine zulässige Klageänderung dar.
Normenkette
SokaSiG § 7; ZPO §§ 533, 263; VTV § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 15
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 01.02.2017; Aktenzeichen 11 Ca 321/16) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 1. Februar 2017 - 11 Ca 321/16 - abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.997,00 EUR (in Worten: Sechstausendneunhundertsiebenundneunzig und 0/100 Euro) zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Beitragsansprüche zum Sozialkassenverfahren im Baugewerbe.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Auf der Grundlage des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe, der in der Vergangenheit regelmäßig für allgemeinverbindlich erklärt worden ist, nimmt er die Beklagte auf Zahlung von Beiträgen zum Sozialkassenverfahren in Anspruch. Dabei handelt es sich um "Nachmeldungen" für gewerbliche Arbeitnehmer für den Zeitraum Juni 2011 bis November 2012 in Höhe von 6.997,77 Euro. Die ursprünglich getrennten Verfahren 11 Ca 321/16 und 11 Ca 322/16 sind mit Beschluss vom 31. August 2016 (Bl. 104 der Akte) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.
Die Beklagte betreibt in der Rechtsform einer GmbH eine Unternehmung in A. Insgesamt wurden ca. 27 Arbeitnehmer beschäftigt. Es gibt eine Ausstellungsfläche mit etwa 700 m² und ein Lager mit ca. 850 m². Ferner sind Einsatzfahrzeuge, ein Bauschuttlager und ein Gerätemagazin vorhanden. Die Beklagte beschäftigte Verkaufsmitarbeiter in den Ausstellungsräumen, Reinigungskräfte, studentische Aushilfen und gewerbliche Arbeitnehmer, die bei Kunden vor Ort Fliesen und Estrich verlegten. Hinsichtlich des Internetauftritts der Beklagten wird verwiesen auf Bl. 88 bis 95 der Akte. Im Wesentlichen ist unstreitig, dass Fliesen verkauft und auch durch eigene Mitarbeiter verlegt wurden. Über die Einzelheiten der im Betrieb erbrachten Tätigkeiten und über die Betriebsstrukturen herrscht zwischen den Parteien Streit.
Die Beklagte zahlte an den Kläger in der Vergangenheit Beiträge für die gewerblichen Arbeitnehmer, die sie als Fliesen- und Estrichleger beschäftigte. Der Betrieb der Beklagten wurde durch die Agentur für Arbeit B einer Kontrolle unterzogen. Gemäß dem Bericht vom 17. September 2015 wurde dabei angeblich festgestellt, dass Aushilfskräfte irrtümlich nicht gemeldet wurden. Wegen der Einzelheiten der in dem Zeitraum Juni 2011 bis August 2015 festgestellten Bruttolohnsummen wird verwiesen auf Bl. 9 und 10 der Akte.
Das Bundesarbeitsgericht hat mit zwei Beschlüssen vom 21. September 2016 - 10 ABR 33/15 - sowie - 10 ABR 48/15 - entschieden, dass die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) 2008 und 2010 sowie die AVE 2014 des VTV unwirksam sind. Mit Beschlüssen vom 25. Januar 2017 - 10 ABR 43/15 - sowie 10 ABR 34/15 - hat das Bundesarbeitsgericht ferner entschieden, dass die AVE 2012 und 2013 unwirksam sind. Daraufhin ist ein Gesetzgebungsverfahren zur Stützung des Sozialkassenverfahrens im Baugewerbe initiiert worden. Der Deutsche Bundestag hat am 26. Januar 2017 das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (SokaSiG) verabschiedet. Das Gesetz ist am 25. Mai 2017 in Kraft getreten. Es sieht vor, dass der VTV in seiner jeweiligen Fassung rückwirkend bis zum Jahr 2006 ohne Rücksicht auf eine AVE "gelten" soll.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass er aufgrund der festgestellten Bruttolohnsumme durch die Agentur für Arbeit berechtigt sei, Beiträge von der Beklagten nachzufordern. Er hat behauptet, die im Betrieb der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer hätten jeweils mehr als 50 % ihrer persönlichen Arbeitszeit in den Kalenderjahren 2011 und 2012 Fliesen- und Estricharbeiten ausgeführt. Sie hätten dabei insbesondere folgende Arbeiten erbracht:
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Verlegung von Fliesen im Wand- und Bodenbereich sowie auf Terrassen und Balkonen sowie Treppen einschließlich dazu erforderlicher Verfugungsarbeiten, sowie die Erstellung des Fliesenbetts und die Entfernung schadhafter Fliesen und anschließende Neuverlegung;
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Verfugungsarbeiten an Badewa...