Leitsatz (amtlich)
1. Es wird daran festgehalten, daß der Begriff der politischen Bildung – auch im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – weit zu interpretieren ist. Mit dem Bundesarbeitsgericht ist daher davon auszugehen, daß auch Veranstaltungen zu ökologischen Themen Veranstaltungen politischer Bildung sein können.
2. Maßgebend ist für die von den Gerichten für Arbeitssachen vorzunehmende Prüfung primär das der Veranstaltung zugrunde liegend Programm. Sekundär kann die/der Arbeitnehmer (in) darlegen und gegebenenfalls nachweisen, daß der Veranstaltung tatsächlich ein didaktisches Konzept zur politischen Bildung zugrundelag (Anschluß an BAG Urteil vom 09. Mai 1995 – 9 AZR 185/94 – NZA 1996, 256).
3. Offen bleibt, ob die/der Arbeitnehmer(in) Schadensersatzansprüche gegen den Veranstalter hat, wenn das dem zuständigen Ministerium zur Anerkennung vorgelegte Programm abweicht von einem weiteren der Durchführung zugrundegelegten Programm.
Normenkette
HBUG § 1 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 07.02.1995; Aktenzeichen 2 Ca 10792/93) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom07. Februar 1995 – 2 Ca 10792/93 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.
Tatbestand
In der Sache streiten die Parteien darum, ob eine von der Klägerin besuchte Veranstaltung als Veranstaltung im Sinne des Hessischen Bildungsurlaubsgesetzes (HBUG) zu werten ist.
Die Klägerin ist seit Jahren als Flugbegleiterin bei der Beklagten beschäftigt.
Die Klägerin beantragte unter dem 27. Mai 1993 (Kopie Blatt 76 d.A.) die Bewilligung von Bildungsurlaub (5 Arbeitstage) zum Zwecke der Teilnahme an dem Seminar „Meeresökologie und Verschmutzung: Ursachen und Folgen”. Das Seminar wurde in der Zeit vom 11. bis zum 16. Juli 1993 an der Ostsee durchgeführt, es war als Bildungsurlaubsveranstaltung anerkannt. Veranstalter war das Bildungswerk welcher anerkannter Träger von Bildungsurlaubsveranstaltungen ist.
Dem zuständigen Ministerium für Frauen, Arbeit und Sozialordnung war für die Anerkennung der Veranstaltung folgendes Programm (Kopie Blatt 22/23 d.A.) vorgelegt worden:
Titel:
Meeresökologie: politische und wirtschaftliche Ursachen von Meeresverschmutzungen und ihre ökologischen und sozialen Folgen.
Veranstalter:
Leitung:
Fachlich qualifizierte Seminarleitung durch Meeresbiologen und Chemiker.
Programmübersicht:
Mo:
9–12 Uhr: Einführung:
Das Meer und seine Anrainer. Wirtschaftliche Nutzungen an der Küste und auf See: Was ist das Meer noch „wert” und von wem ist es verwertet worden?
Grundlegende Informationen zur Ökologie des Meeres.
Vorträge und Diskussion
14–17 Uhr:
Industrie, Landwirtschaft, Kommunen, Schiffahrt, Tourismus, Fischerei: Kippt das Meer um?
Vorträge und Diskussion, kurze Erkundung des Spülsaums.
Di:
9–17 Uhr:
Umweltzerstörung vor Ort:
Geologie und Hydrologie des Meeres, Flora und Fauna am Strand, im Uferbereich und in küstennahen Wasserzonen.
Ganze Gewässerregionen sind verödet. Erst durch Untersuchung verschiedener Zonen wird das ganze Ausmaß der Zerstörung deutlich.
Strandwanderung, Tauchgänge, Gruppenarbeit mit Mikroskopen, Diskussion.
Mi:
9–12 Uhr:
Was haben die Umweltschutzpolitiken der Meeresanrainer bewirkt?
Den Umweltzerstörungen auf der Spur:
Wasseranalysen und Gewässergütebestimmung. Planktonproben und Bestimmung. Ausfahrt mit Forschungsschiff.
Gruppenarbeit mit Anleitung,
14–17 Uhr:
Was lebt (noch) im Meer?
Welche Meeresverschmutzer bewirken welche Zerstörungen?
Fortsetzung der Gruppenarbeit mit dem Mikroskop, Bestimmungsübungen.
Do:
9–12 Uhr:
Gestaltungspolilik oder Vollzugsdefizit?
Wer darf das Meer vergiften und warum? Einleitungsrecht und Meeresökologie. Umweltpolitik der Anrainer.
Fahrt mit Forschungsschiff zu Belastungsschwerpunkten.
Führung, Erläuterungen, Diskussion,
14–17 Uhr:
„Jedermann hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit”:
Schadstoffanreicherung in der Nahrungskette: Schwermetalle. Pestizide und Biozide.
Wie das Grundgesetz heimlich „vergiftet” wird.
Gruppenarbeit mit Anleitung und Materialien.
Fr:
9–12 Uhr:
Umweltpolitik und Meeresökologie in der Entwicklung: eine synoptische historische Betrachtungsweise.
Gruppenarbeit mit Materialien.
14–17 Uhr:
Zusammenfassende Zustandsbeschreibung.
Was können wir zur Entlastung der kritischen Lage beitragen?
Gruppenberichte und abschließende Plenumsdiskussion.
Seminarkritik.
Unter dem 02. Juni 1993 (Kopie des Schreibens Blatt 81 d.A.) lehnte die Beklagte die bezahlte Freistellung mit der Begründung ab, das Seminar entspreche nicht den Voraussetzungen des HBUG. Die Klägerin leitete darauf der Beklagten mit einer Kopie des ministeriellen Anerkennungsbescheides vom 28. Januar 1993 (Kopie Blatt 79/80) und ihrer Anmeldebestätigung eine Programmübersicht (Kopie Blatt 5/6 d.A.) zu. Unter dem 16. Juni 1993 (Kopie Blatt 82 d.A.) teilte die Beklagte der Klägerin mit, daß sie „nach nochmaliger Prüfung der … eingereichten Unterlagen” bei der ablehnenden Haltung bleibe. Das Schreiben ent...