Entscheidungsstichwort (Thema)
Eröffnung des Insolvenzverfahren vor Erhebung der Kündigungsschutzklage. Massenentlassungsanzeige. Vertrauensschutz zugunsten des Arbeitgebers
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Kündigungsschutzklage ist – unabhängig davon, ob der Arbeitgeber/Schuldner oder der Insolvenzverwalter die Kündigung erklärt haben – immer dann gegen den Insolvenzverwalter zu richten, wenn bereits vor Erhebung der Kündigungsschutzklage das Insolvenzverfahren eröffnet war.
2. Für eine am 30.07.2004 vom Arbeitgeber erklärte Kündigung gab es keine Anhaltspunkte, dass sich die herrschende Rechtsprechung zur Auslegung der §§ 17, 18 KSchG ändern könnte.
Normenkette
KSchG § 17 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
ArbG Hanau (Urteil vom 05.11.2004; Aktenzeichen 4 Ca 246/04) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Hanau vom05. November 2004 – 4 Ca 246/04 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses infolge von angegriffenen Kündigungen des Arbeitgebers.
Der am 09. Oktober 1973 geborene und ledige Kläger war seit dem 14. Juni 1994 als Arbeiter auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 13. Juni 1994 (Bl. 63–65 d.A.) bei der A. beschäftigt.
Die A. beschäftigte zuletzt 23 Arbeitnehmer. Es bestand kein Betriebsrat. Mit Beschluss des Amtsgerichts Hanau vom 01. August 2004 wurde über das Vermögen der A. das Insolvenzverfahren eröffnet.
Die Schuldnerin kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers – wie die Arbeitsverhältnisse aller übrigen Arbeitnehmer – mit Schreiben vom 30. Juli 2004 (Bl. 7 d.A.), dem Kläger zugegangen am 30. Juli 2004, zum 31. August 2004. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 17. August 2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage.
Der beklagte Insolvenzverwalter kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien – wie das Arbeitsverhältnis aller übrigen Arbeitnehmer – erneut mit Schreiben vom 02. August 2004, dem Kläger zugegangen am 02. August 2004, vorsorglich ebenfalls zum 31. August 2004. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 18. August 2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage.
Die Kündigungsschutzklage vom 17. August 2004 gegen die Kündigung der Schuldnerin hat der Kläger erhoben gegen die Schuldnerin als Beklagte zu 1. und den Insolvenzverwalter als Beklagten zu 2. Die Kündigungsschutzklage vom 18. August 2004 gegen die Kündigung des beklagten Insolvenzverwalters hat der Kläger erhoben gegen den Insolvenzverwalter.
Der Kläger hat zunächst geltend gemacht, es lägen keine betriebsbedingten Gründe für die Kündigung vor; er hat weiter zunächst die Sozialauswahl gerügt. Der Kläger hat ferner die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist beanstandet. Der Kläger hat schließlich mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2004 eingewandt, dass die erforderliche Massenentlassungsanzeige gem. § 17 KSchG unterblieben sei.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten zu 1. vom 30. Juli 2004 zum 31. August 2004 beendet worden ist;
- festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung des Beklagten zu 2. vom 02. August 2004 zum 31. August 2004 beendet worden ist;
- hilfsweise, für den Fall des Obsiegens mit den Feststellungsanträgen zu 1. und zu 2., die Beklagten zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Arbeiter weiter zu beschäftigen.
Die Beklagtenseite hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagtenseite hat vorgetragen, dass am 29. Juli 2004 in den Geschäftsräumen der Schuldnerin anlässlich einer Besprechung, an der u.a. die Geschäftsführer der Schuldnerin und der beklagte Insolvenzverwalter (seinerzeit als vorläufiger Insolvenzverwalter) teilgenommen haben, die Entscheidung zur Betriebsstillegung zum 31. Juli 2004 getroffen worden sei. Nach Betriebsstillegung am 31. Juli 2004 seien lediglich noch 2 der gekündigten Arbeitnehmer mit Abwicklungsarbeiten weiter beschäftigt worden, nämlich die Arbeitnehmerin B. als Buchhalterin und die Arbeitnehmerin C. als Mitarbeiterin der Personalabteilung. Sodann sei einer der Geschäftsführer der Schuldnerin mit dem Abverkauf der vorhandenen Roh- und Fertigprodukte beauftragt worden. Nach Abschluss dieser Abwicklungsarbeiten seien auch diese Mitarbeiter zum 01. September 2004 freigestellt worden.
Die Beklagtenseite hat zur Erforderlichkeit der Massenentlassungsanzeige vorgetragen, dass die Kündigung des Klägers vom 30. Juli 2004 nicht anzeigepflichtig gewesen sei, da zum 30. September 2004, dem nach § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB i.V.m. § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB maßgeblichen Kündigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses der Parteien, nur insgesamt 4 Arbeitnehmer entlassen worden seien. Dies habe die Bundesagentur für Arbeit mit Schreiben vom 09. August 2004 (Bl. 82, 83 d.A.) auf die Anzeige de...