Leitsatz (amtlich)
1. Im Zweifel bezieht sich die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf einen nicht näher bezeichneten Tarifvertrag auf den einschlägigen Tarifvertrag.
2. Ist der Betrieb, in dem der AN beschäftigt wird, nicht am Sitz des Unternehmens, so gilt im Zweifel der für den Beschäftigungsbetrieb und nicht der für den Unternehmenssitz einschlägige Tarifvertrag.
3. Mit einem Rückzahlungsanspruch auf Erstattung einer Jahresleistung oder sonstigen Gratifikation kann der AG nur im Rahmen der Pfändungsgrenzen aufrechnen. Eine tarifliche Vorschrift, daß eine Jahresleistung, deren Voraussetzungen nachträglich wegfallen, als Vorschuss gilt, ist wegen Umgehung des § 394 BGB nichtig.
Normenkette
TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag § 1; TVG Geltungsbereich § 4; BGB §§ 394, 611
Verfahrensgang
ArbG Offenbach am Main (Urteil vom 22.04.1991; Aktenzeichen 5 Ca 9/91) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach/M. vom 22.04.1991 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 378,16 DM netto zu zahlen nebst vier Prozent Zinsen ab 17.01.1991.
Tatbestand
Die Parteien streiten um eine jährliche Sonderzahlung.
Der Kläger war seit 1987 bei der Beklagten beziehungsweise deren Rechts Vorgängerin, bei denen es sich um Unternehmen der chemischen Industrie mit Sitz in Hannover handelt, als Kundendiensttechniker beschäftigt. Es galt der Arbeitsvertrag vom 18./21.05.1987 (Bl. 6 f. d. A.).
Nach § 1 dieses Vertrages wurde der Kläger für den Bereich der Niederlassung Frankfurt am Main eingestellt. Allein dort war er in der Folgezeit tätig. Nach § 2 des Vertrages wurde eine Jahresleistung „nach den tariflichen Vereinbarungen gewährt” und spätestens am 15.12. eines jeden Jahres ausgezahlt. Nach § 3 richtete sich der Urlaub „nach dem Tarifvertrag der chemischen Industrie”. Gemäß § 6 bedurften Änderungen und Ergänzungen des Vertrages zu ihrer Rechtswirksamkeit der schriftlichen Vereinbarung.
Die Beklagte ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes der chemischen Industrie Niedersachsen. Für dieses Tarifgebiet gibt es einen Tarifvertrag über die Zahlung einer Jahresleistung für die niedersächsische chemische und kunststoffverarbeitende Industrie vom 14.06.1989 (Bl. 24 ff.; im folgenden TV Niedersachsen). Für das Tarifgebiet Hessen gibt es einen Tarifvertrag über die Gewährung einer jährlichen Abschlußleistung für die chemische Industrie in Hessen in der Fassung vom Oktober 1988, der vom Arbeitgeberverband Chemie und verwandte Industrien für das Land Hessen abgeschlossen worden ist (im folgenden: TV Hessen).
Ende November 1990 kündigte der Kläger sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zum Jahresende. Er hatte bereits kurz vorher, wie in den Vorjahren, mit der Novemberabrechnung ein zusätzliches Gehalt als Jahresleistung von der Beklagten erhalten. Die Beklagte bestätigte die Kündigung mit Schreiben vom 07.12.1990 (Bl. 8 d. A.) und informierte den Kläger zugleich unter Hinweis auf die tarifliche Regelung darüber, daß sie die Jahresleistung mit dem Dezembergehalt verrechnen werde. Demgemäß behielt die Beklagte vom Dezembergehalt des Klägers in Höhe von 3.013,30 DM netto die gezahlte Jahresleistung in Höhe von 1.819,26 DM netto voll ein ohne Rücksicht darauf, daß vom Dezembergehalt 1.572,20 DM unpfändbar waren.
Der Kläger hat vorgetragen:
Er sei zur Rückzahlung der Jahresleistung nicht verpflichtet gewesen. Auf irgendwelche tariflichen Vorschriften könne sich die Beklagte in diesem Zusammenhang nicht berufen, da diese wegen der unklaren Bezugnahme im Arbeitsvertrag nicht wirksam vereinbart worden seien. Auf jeden Fall hätten bei der Verrechnung des Rückzahlungsanspruchs mit seinem Dezembergehalt die Pfändungsgrenzen berücksichtigt werden müssen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.492,– DM brutto nebst vier Prozent Zinsen aus dem entsprechenden Nettobetrag seit der Klagezustellung vom 17.01.1991 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen:
Die Rückforderung der Jahresleistung sei nach den Bestimmungen des Tarifvertrages Niedersachsen berechtigt gewesen. Dieser Tarifvertrag sei in § 2 des Arbeitsvertrags wirksam in Bezug genommen. Sollte die Bezugnahme nicht wirksam sein, hätte auf Grund betrieblicher Übung ein Rückforderungsrecht bestanden. Da der Tarifvertrag die zu Unrecht erfolgte Zahlung in einen Vorschuß umwandele, habe sie bei der Verrechnung ihres Rückzahlungsanspruchs mit dem Dezembergehalt keine Pfändungsgrenzen beachten müssen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 22.04.1991 (Bl. 33 bis 42 d. A.) Bezug genommen.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger unter Vertiefung seines Vorbringens seinen Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung. Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Zur näheren Darstellung des zweitinstanzlichen Vorbringens wird auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze der Parteien bezug genommen.
Entsch...