Entscheidungsstichwort (Thema)

Teilnahme eines Stuckrestaurators am Sozialkassenverfahren im Baugewerbe. Tarifliche Einordnung der Befunderhebung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Tätigkeit eines Restaurators ist als baugewerbliche Tätigkeit i.S.d. § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV einzuordnen (im Anschluss an Hess. LAG 18. September 2006 - 16 Sa 2291/05 - Juris). Insbesondere ist diese Tätigkeit nicht als "künstlerische Leistung" dem Gewerbebegriff entzogen.

2. Zur tariflichen Einordnung der Erstellung von Gutachten, die bauliche Mängel aufdecken und deren Behebung vorbereiten sollen.

 

Normenkette

VTV § 1 Abs. 2 Abschn. II, Abschn. V Nrn. 16, 34; GG Art. 5 Abs. 3 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 06.05.2015; Aktenzeichen 2 Ca 589/14)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 6. Mai 2015 - 2 Ca 589/14 - abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.353,00 EUR (in Worten: Zehntausenddreihundertdreiundfünfzig und 0/100 Euro) zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Beiträgen zum Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Er ist tarifvertraglich verpflichtet, die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes einzuziehen.

Der Beklagten, der in keinem Gewerberegister angemeldet ist, tritt mit der Bezeichnung "Stuckrestaurator" im Geschäftsverkehr auf (vgl. Bl. 23 der Akte). Bei dem Beklagten war mindestens der Arbeitnehmer A im Klagezeitraum als Stuckateur angestellt. Die Aufträge des Beklagten bezogen sich überwiegend auf alte - oftmals denkmalgeschützte - Gebäude, insbesondere Kirchen, Klöster und andere historische Gebäude. Gearbeitet wurde im Innen- und Außenbereich. Arbeitsmaterialien waren u.a. eine Arztspritze, ein kleiner Bohrer und Skalpelle. In der Regel wurden Fassaden auf Hohlstellen untersucht, diese dann dokumentiert und schließlich ausgebessert. Die Hohlstellen mussten angebohrt, dann der Staub entfernt und sodann mittels eines Klebemörtels ausgespritzt werden. Z.T. wurden auch Fassadenabschnitte verputzt. Über eine besondere Berufsausbildung verfügen weder der Beklagte noch die beschäftigten Arbeitnehmer.

Den eigentlichen Restaurationsarbeiten ging regelmäßig eine Befunderhebung voraus. Diese Befunderhebungen wurden von den Auftraggebern separat beauftragt und auch vergütet. Auf reine Befunderhebungen, die später nicht zu einem Auftrag zur Restauration führten, entfielen ca. 25 % der Arbeitszeit.

Die Agentur für Arbeit hat nach einer Betriebsprüfung festgestellt, dass der Beklagte keinen Baubetrieb nach der Baubetriebeverordnung unterhalte. Auf Prot 51001 Gutleutstraße 130 (069) 15047 - 0 60327 Frankfurt am Main (069) 15047 - 8383 das Schreiben der Agentur für Arbeit Ulm vom 8. Januar 2014 (Bl. 26 der Akte) wird Bezug genommen.

Auf der Grundlage des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe hat der Kläger von dem Beklagten Zahlung von Sozialkassenbeiträgen in Höhe 10.353 Euro begehrt. Dabei handelt es sich um Beiträge für einen gewerblichen Arbeitnehmer für den Zeitraum August 2012 bis Dezember 2013, die der Kläger im Wege einer sog. Mindestbeitragsklage geltend macht. Er hat dabei die von dem Statistischen Bundesamt ermittelten Durchschnittslöhne im Baugewerbe zugrunde gelegt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass der Beklagte verpflichtet sei, am Sozialkassenverfahren teilzunehmen. Entgegen der Ansicht des Beklagten würden auch Restaurationsmaßnahmen an Bauwerken und Bauwerksteilen von dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst. Er hat behauptet, die im Betrieb beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer seien in den Kalenderjahren 2012 und 2013 arbeitszeitlich betrachtet überwiegend mit den nachfolgenden Tätigkeiten beschäftigt gewesen:

Stuck- und Putzarbeiten: Anbringen von Außen- und Innenputz, Verfugen von Mauerrissen, Anbringen von Stuckprofilen an Decken und Wänden.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 10.353 Euro zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat gemeint, der betriebliche Geltungsbereich des VTV sei nicht eröffnet. Er übe den freien Beruf eines Restaurators aus. Er sei daher auch nicht im Gewerberegister verzeichnet. Die Tätigkeit des Restaurators widme sich der Bestandserhaltung von Kunst - und Kulturgut. Es würde zum Beispiel mit einem Skalpell gearbeitet, wenn es um das vorsichtige Herauslösen und Entfernen von schadhaften Überputzungen ginge. Die von ihm verrichtete Tätigkeit bestünde im Konservieren und Restaurieren, dem Modellieren und Abformen von plastischen Objekten sowie insbesondere der Befunderhebung, dem Erstellen von Maßnahmenkonzepten und der Dokumentation. Er werde überwiegend in Kirchen/Klöstern, Museen bzw. historischen Gebäuden tätig. Die Hauptaufgabe bestünde nicht im Restaurieren, sondern in dem Ko...

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