Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifvertragsauslegung. Bruttolohn, Abfindung

 

Leitsatz (amtlich)

Auch in der Zeit vor dem 01.01.1999 gehörten Abfindungen, die von einem baugwerblichen Arbeitgeber an einen Arbeitnehmer aus Anlaß von dessen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt wurden, nicht zum Bruttolohn iSv § 24 Abs. 2 VTV/Bau und waren damit nicht Teil der betrieblichen Bruttolohnsumme als Bemessungsgröße für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.

 

Normenkette

TVG Auslegung § 1; VTV/Bau § 24 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 21.12.2001; Aktenzeichen 1 Ca 1561/01)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 09.07.2003; Aktenzeichen 10 AZR 585/02)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 24. Dezember 2001 – 1 Ca 1561/01 – unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung – abgeändert.

Der Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerin EUR 399,32 (i.W.: Dreihundertneunundneunzig 32/00 Euro) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 6. Januar 2001 zu zahlen.

Der Beklagte zu 2) wird verurteilt, an die Klägerin EUR 7.042,53 (i.W.: Siebentausendzweiundvierzig 53/100 Euro) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 6. Januar 2001 zu zahlen.

Die Beklagten tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Von den übrigen (erstattungsfähigen) Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte zu 1) 1/20, der Beklagte zu 2) 19/20.

Die Revision wird für beide Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Frage, ob für die von einem baugewerblichen Arbeitgeber an einen ausgeschiedenen Arbeitnehmer für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlte Abfindung für die Zeit bis zum 31.12.1998 Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes zu zahlen waren.

Die Beklagten sind von den Tarifvertragsparteien des Baugewerbes geschaffene gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien dieses Gewerbezweiges. Nach den jeweils für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvorschriften des Baugewerbes haben die baugewerblichen Arbeitgeber die Mittel für die tarifvertraglich festgelegten Leistungen an Urlaub, Lohnausgleich, Berufsbildung sowie Zusatzversorgung durch Beiträge an die gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien aufzubringen. Nach den einschlägigen tarifvertraglichen Vorschriften ist Gläubiger der Beiträge für die Leistung für Urlaub, Lohnausgleich und Berufsausbildung der Beklagte zu 2., bezüglich der Beiträge für Zusatzversorgung der Beklagte zu 1., der gleichzeitig für beide gemeinsame Einrichtungen die Beiträge bei den tarifunterworfenen Arbeitgebern einzieht.

Im Jahre 1996 traf eine Tochtergesellschaft der Klägerin, die einen baugewerblichen Betrieb unterhaltende F. S. + Co. GmbH in Essen, mit ihrem Arbeitnehmer S. eine Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindungszahlung. Die vereinbarte Abfindung, deren Höhe die damalige Steuerfreigrenze des § 3 Nr. 9 EStG überschritt, war am 30.06.1996 zur Zahlung fällig. Die F. S. + Co. GmbH zahlte aus dem den Steuerfreibetrag überschreitenden Abfindungsbetrag Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes an den Beklagten zu 1. in Höhe von 14.555,00 DM.

In der Folgezeit kam es zu einer Korrespondenz zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1. über die Frage, ob Abfindungszahlungen für den Verlust des Arbeitsplatzes nach den Sozialkassentarifverträgen des Baugewerbes beitragspflichtig sind. Mit Schreiben vom 31.10.1997 (Bl. 18/19 d. A.) teilte der Beklagte zu 1. der Klägerin mit, seiner Auffassung nach seien für Abfindungen i. S. d. §§ 9, 10 KSchG keine Sozialkassenbeiträge zu zahlen, soweit die Abfindung für Zeiten nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses gezahlt werde. Gleichzeitig ließ der Beklagte zu 1. der Klägerin wissen, dass bei versehentlichen Zahlungen von Sozialkassenbeiträgen für Abfindungen einer Rückabwicklung grundsätzlich nichts im Wege stände. Mit weiterem Schreiben vom 07.12.1998 (Bl. 21/22 d. A.) setzte der Beklagte zu 1. die Klägerin davon in Kenntnis, die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes hätten sich darauf verständigt, dass einkommenssteuerpflichtige Abfindungen i. S. v. § 3 Nr. 9 EStG, die für Lohnzahlungszeiträume bis zum 31.12.1998 abgerechnet worden seien, beitragspflichtig wären.

Mit Vereinbarung vom 16.08./20.08.2001 (Bl. 17 d. A.) trat die F. S. + Co. GmbH etwaige Rückforderungsansprüche wegen 1996 für Entlassungsentschädigungen in Höhe von 14.555,00 DM gezahlter Sozialkassenbeiträge an die Klägerin ab.

Im Kalenderjahr 1996 bis zum 31.12.1998 hatte der die Beitragsverpflichtung regelnde § 24 Abs. 2 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 12.11.1986 folgenden Wortlaut:

„(2) Bruttolohn ist

  1. der für die Berechnung der Lohnsteuer zugrunde zu legende und in die Lohnsteuerkarte oder die Lohnsteuerbescheinigung einzutragende Bruttoarbeitslohn einschließlich der Sachbezüge, die nicht pauschal nach § 40 EStG versteuert werden,
  2. der nach §§ 40 a und 40 b EStG pauschal zu versteuernde Bruttoarbeitslohn mit Ausn...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge