Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Arbeitsunfähigkeit und Verschulden. Verlust der Kontrolle über Verhalten. Schlag gegen Schild mit der Hand
Leitsatz (redaktionell)
Ein Verschulden des Klägers im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG liegt nicht vor. Der Verschuldensbegriff erfordert einen groben Verstoß gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen.
Normenkette
EntgFG AUT § 3; BGB § 276
Verfahrensgang
ArbG Offenbach am Main (Entscheidung vom 17.04.2013; Aktenzeichen 5 Ca 58/13) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 17. April 2013 - 5 Ca 58/13 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Die Beklagte betreibt einen Baumarkt. Der Kläger ist für sie seit dem Jahr 2003 als Warenauffüller zu einer Bruttomonatsvergütung von derzeit 1.957,67 Euro tätig. Er wird im Außenbereich des Marktes eingesetzt und ist unter anderem für die Bestückung des Steinsortiments und der Kies- und Mörtelprodukte zuständig. Zu diesem Zweck stand ihm ursprünglich ein mit einem Wetterschutz versehener Stapler zur Verfügung. Als dieser ausfiel, erhielt der Kläger einen anderen Stapler ohne Wetterschutz. Die Mitarbeiter der Beklagten montierten auf dem Stapler ein provisorisches Dach. Der Kläger brachte zusätzlich Anfang August 2012 ein Plexiglasteil als Windschutzscheibe an. Der betriebliche Sicherheitsbeauftragte rügte dies mit der Begründung, die Scheibe gewährleiste keine optimale Sicht und führe zum Erlöschen der Betriebserlaubnis für den Stapler. Darauf entfernte die Beklagte die Scheibe.
Der Kläger, der am Vortag dienstfrei gehabt hatte, bemerkte dies am Morgen des 09. August 2012. Nachdem er Kollegen vergeblich nach dem Grund der Demontage der Scheibe gefragt hatte, brachte er die Scheibe wieder an, da er für diesen Tag Regen erwartete. Als der Geschäftsleiter der Beklagten davon erfuhr, begab er sich zum Kläger und wies ihn an, die Scheibe erneut zu entfernen. Der Kläger fügte sich zunächst der Weisung und begann zusammen mit dem Geschäftsleiter, die Scheibe wieder abzubauen. Während dieses Vorgangs geriet er zunehmend in heftige Erregung. Er schimpfte und erklärte, er sehe das nicht ein, man könne doch durch die Scheibe sehen, es sei alles "scheiße". Darauf warf er in der Nähe liegendes Verpackungsmaterial. Schließlich schlug er mit der Hand mindestens dreimal auf ein in der Nähe aufgestelltes Verkaufsschild. Dieses bestand aus nachgiebigem Hohlkammerschaumstoff, der an eine Holzstange montiert war, die wiederum in einem mit Beton aufgefüllten Florwallsteinring steckte. Unmittelbar anschließend schwoll die Hand des Klägers dick an. Darauf wurde ein Bruch der Hand diagnostiziert.
Aufgrund der Verletzung war der Kläger vom 09. August bis zum 19. September 2012 arbeitsunfähig. Die Beklagte gewährte ihm für diese Zeit keine Entgeltfortzahlung und zahlte an den Kläger für August 2012 lediglich 528,21 Euro brutto und für September 2012 731,54 Euro brutto. Die Differenzbeträge in Höhe von 1.436,39 Euro brutto für August 2012 sowie von 1.226,13 Euro brutto für September 2012 macht der Kläger mit der vorliegenden Klage geltend. Er hat beantragt,
die beklagte Partei zu verurteilen, 2.662,52 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 01. Oktober 2012 an ihn zu zahlen.
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 41, 42 d. A.) Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt und zur Begründung - kurz zusammengefasst - ausgeführt, der Kläger habe sich bei seiner Verletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig oder besonders leichtfertig, sondern lediglich leichtfertig verhalten. Er habe sich in einer emotional aufgeladenen Situation befunden und sich geärgert. Ob dies berechtigt gewesen sei, sei nicht erheblich. Er habe sich in einem emotionalen Ausnahmezustand befunden und sei deshalb nicht in der Lage gewesen, sich zu kontrollieren. Aufgrund des Materials des Schildes habe er auch nicht mit einer Verletzungsgefahr rechnen müssen. Wegen der vollständigen Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 43 - 45 d. A.) Bezug genommen.
Die Beklagte hat gegen das am 03. Mai 2013 zugestellte Urteil am 16. Mai 2013 Berufung eingelegt und diese am 18. Juni 2013 begründet. Sie bestreitet, dass sich der Kläger in einem derart emotionalen Ausnahmezustand befand, dass er sich nicht mehr habe kontrollieren können. In der gegebenen Situation habe sich kein verständiger Mensch über die die Verärgerung des Klägers auslösende, sachlich berechtigte Anweisung ärgern können. Andernfalls müsse der Kläger unter einer krankhaften Störung seiner Geistestätigkeit leiden. Sein Verhalten habe keinen nachvollziehbaren Grund gehabt und sei völlig überzogen und nicht hinnehmbar gewesen. Zudem habe er ...