Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtmäßigkeit einer Verdachtskündigung. Vorliegen eines wichtigen Grundes
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Verdachtskündigung ist keine unterentwickelte Tatkündigung im Sinne einer Absenkung des von § 286 ZPO verlangten Beweismaßes. Das BAG fordert dazu, dass der Verdacht auf eine Pflichtverletzung auf konkreten, vom Kündigenden darzulegenden und gegebenenfalls mit dem vollen Maß des § 286 Abs. 1 ZPO zu beweisenden Tatsachen beruhen muss. 2. Hierzu reicht die Begründung des Arbeitgebers bei der Feststellung einer positiven Kassendifferenz nicht aus, dass darin eine verbreitete Form der Manipulation von Kassenvorgängen liegen würde.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 25.05.2020; Aktenzeichen 21 Ca 8122/19) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt - 21 Ca 8122/19 - vom 25. Mai 2020 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wehrt sich gegen die außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 03. Dezember 2019.
Der 64-jährige Kläger ist verheiratet und unterhaltspflichtig für drei Kinder. Er ist seit dem 21. Juli 1997 bei der Beklagten als Büromitarbeiter auf dem Flughafen A beschäftigt. Er erzielt ein Monatsbruttogehalt in Höhe von Euro 2.800,00.
Die Beklagte betreibt am Flughafen in A verschiedene systemgastronomische Outlets. In diesem werden den Kunden Speisen und Getränke verkauft. Aufgabe des Klägers und seiner Kollegen ist der Verkauf und gegebenenfalls die Zubereitung von Speisen und Getränken, wozu auch und insbesondere die ordnungsgemäße Bonierung der verkauften Waren und die vollständige und ehrliche Vereinnahmung von erhaltenen Geldern zugunsten der Beklagten zählt.
Die Mitarbeiter werden hierzu mit einem Grundbestand an Wechselgeld ausgestattet, mit welchem sie ihre Tagesschicht beginnen. Die Mitarbeiter, auch der Kläger, arbeiten hierzu an einer Kasse, an welche sie sich mit ihrer eigenen Kassenkarte (TcPOS-Karte) einloggen müssen. Jeder Mitarbeiter arbeitet allein an seiner Kasse, auch ist eine Weitergabe seiner Kassenkarte an andere Mitarbeiter untersagt. Gleichfalls gilt der Grundsatz für alle Kassiervorgänge: keine Ware ohne Bon.
Diese Pflichten ergeben sich aus der Kassenanweisung der Beklagten, die nach dem übereinstimmenden Tatsachenvortrag der Parteien Bestandteil der Vereinbarungen des Arbeitsverhältnisses sind. Der Kläger hat sein Einverständnis hiermit auf der letzten Seite mit der entsprechenden Unterschrift erklärt. Wegen der Einzelheiten dieser Kassenanweisung wird auf die Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 09. März 2020 (Bl. 44 ff. d.A.) Bezug genommen. Daraus folgt, dass bei einem anweisungsgemäßen Verhalten entsprechend der Kassenvorschriften der Beklagten, insbesondere unter der Wahrung des Grundsatzes "keine Ware ohne Bon" jeder Verkaufsvorgang entsprechend in der Kasse boniert werden muss, das Geld von dem Kunden dann verlangt wird und Wechselgeld herausgegeben wird. Am Ende der Arbeitsschicht müssten dann der Soll-Bestand der Kasse gemäß Buchungsjournal, sowie der Ist-Bestand der Kasse gemäß Abrechnung und abgegebenem Kassen-Safebag identisch sein. Dann hat der Arbeitnehmer korrekt jeden einzelnen Verkaufsvorgang boniert und das entsprechend diesem Bon vereinbarte Geld ordnungsgemäß in die Kasse eingelegt, sodass beide Beträge übereinstimmen. Dabei ist es zwischen den Parteien unstreitig, dass eine ordnungsgemäße Bonierung von Verkaufsvorgängen bei einer geöffneten Kassenschublade nicht möglich ist.
Die Beklagte sieht in einem Vorfall vom 02. November 2019 den kündigungsbegründenden Sachverhalt:
Am 02. November 2019 begaben sich die Herren B und C nach Fotohinweisen eines Zeugen zum Zeitpunkt 11:01 Uhr, wonach die Kassenlade des Klägers über einen längeren Zeitraum hinweg offenstand, zum von der Beklagten betriebenen Outlet "D". Beim Eintreffen dieser beiden Herren arbeitete der Kläger an der Kaffeemaschine. Die Kasse mit der Kennziffer XXX, an der allein der Kläger zu diesem Zeitpunkt angemeldet war, stand nach wie vor angelehnt offen. Die TcPOS-Karte des Klägers, die zur Bedienung der Kasse und insbesondere zum Öffnen der Kasse erforderlich ist, lag neben der Kasse. Wegen der Veranschaulichung der Situation wird auf die von der Beklagten angefertigten Fotos in der Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 09. März 2020 (Bl. 63 ff. d.A.) verwiesen.
Das erste Foto zeigt, dass die TcPOS-Karte des Klägers offen auf dem Kassentresen liegt, als auch, dass die Kassenlade erkennbar offensteht. Das zweite Foto zeigt eine deutlichere Aufnahme der TcPOS-Karte, auf der der Name des Klägers lesbar ist. Das dritte Foto zeigt eine Nahaufnahme der erkennbar offenstehenden Kassenlade.
Der Kläger wurde sodann darauf hingewiesen, dass vor diesem Hintergrund nunmehr eine Kassenkontrolle durchgeführt werden würde. Zu diesem Zweck wurde das Wech...